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BeitragVerfasst: 17.08.2019, 09:20 
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Mill overseer & Head of the Berlin Station
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Hörbares zu 'The Lodge' gibt es hier:

Zitat:
Cultural Capital

MIFF 2019 Episode 3 - The Lodge, Your Face, End of the Century, And Then We Danced and more

17 hours ago 45:13


MP3•Episode home•Series home•Public Feed

By Cultural Capital. Discovered by Player FM and our community — copyright is owned by the publisher, not Player FM, and audio streamed directly from their servers.

The “We’ll add ten per cent onto the price so we can give a ten per cent discount to members” edition. Before MIFF-fatigue sets in, before the endings get spoiled and while the weather is still wintry, join us in the midst of the bustle of the Capitol Salon, for a rundown of some of the most enthused-about films in the Melbourne International Film Festival… 02:45 - The Lodge [SPOILER WARNING - we do discuss this particular ending, for good reason] 15:05 - End of the Century 21:14 - The Wild Goose Lake 25:22 - Your Face 29:52 - The Dwelling in the Fuchun Mountains 33:36 - And Then We Danced 38:07 - Sequin in a Blue Room 40:53 - Happy New Year, Colin Burstead Find Us: @ TheCultCapPod and Cultural Capital Podcast


https://player.fm/series/cultural-capital/miff-2019-episode-3-the-lodge-your-face-end-of-the-century-and-then-we-danced-and-more

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Verfasst: 17.08.2019, 09:20 


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BeitragVerfasst: 06.09.2019, 22:44 
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Mill overseer & Head of the Berlin Station
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Zwei Kritiken von verschiedenen Filmfesten:

Zitat:
Kritik der FILMSTARTS-Redaktion 3,5 gut

The Lodge

Wie "Hereditary", aber anders


Von Christoph Petersen

Veronika Franz und Severin Fiala haben gleich mit ihrem Spielfilmdebüt „Ich seh, Ich seh“ besonders international für mächtig Rummel gesorgt. Und das liegt nicht nur daran, dass der Arthouse-Horror um Zwillingsjungen, die an der Identität ihrer mit einem Kopfverband aus dem Krankenhaus zurückgekehrten Mutter zweifeln, prestigeträchtige Premieren bei den Filmfestivals in Venedig und Toronto gefeiert hat. Eine noch wichtigere Rolle dürfte gespielt haben, dass die Vorschau auf YouTube geradewegs durch die Decke gegangen ist, während sich zudem einige US-Medien die Frage stellten, ob es sich bei „Goodnight Mommy“ (so der internationale Titel) nicht womöglich sogar um den unheimlichsten Trailer aller Zeiten handeln könnte. Kein Wunder also, dass das österreichische Regie-Duo nun gleich seinen zweiten Langfilm in englischer Sprache produziert – und zwar für die traditionsreiche Horror-Schmiede Hammer Films. Die ist nun – mit 20-jähriger Unterbrechung – schon seit Anfang der 1930er vor allem für ihre atmosphärischen Produktionen berühmt-berüchtigt. Und gerade in Sachen Atmosphäre trumpft nun auch der beim Sundance Filmfestival uraufgeführte „The Lodge“ groß auf.

Der Journalist Richard (Richard Armitage) trennt sich für die jüngere Grace (Riley Keough) von seiner Frau Laura (Alicia Silverstone). Seine zwei Kinder, die etwa zehnjährige Mia (Lia McHugh) und Teenager Aidan (Jaeden Martell, der junge Bill aus „ES“ und „ES Kapitel 2“), sind davon allerdings gar nicht begeistert und begegnen der neuen Freundin ihres Vaters mit harscher Ablehnung. Abhilfe soll ein gemeinsamer Weihnachtsausflug in die abgelegene Familienhütte schaffen. Weil Richard vor dem Fest für die Arbeit noch mal zwei Tage in die Stadt zurückmuss, bleibt Grace mit den Kindern allein – eigentlich der perfekte Zeitpunkt, um sich ein wenig anzunähern. Nur haben Aidan und Mia wenige Tage zuvor in einem Video auf dem Rechner ihres Vaters entdeckt, dass Grace früher Mitglied einer christlichen Sekte war, deren Mitglieder sich allesamt selbst umgebracht haben. Nur sie hat den Massenselbstmord, bei dem die Sektenmitglieder ein Klebeband mit der Aufschrift „Sin“ (= „Sünde“) über den Mund geklebt trugen, als einzige überlebt...

Mysteriös: Elvis-Enkelin Riley Keough in "The Lodge"

Bei der Ankunft von Richard, Grace, Aidan und Mia bei der Hütte ist bereits eine gute halbe Stunde vergangen und trotzdem lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch überhaupt gar nicht absehen, wer hier eigentlich vor wem Angst haben sollte: Verfällt Grace wieder ihrem christlichen Wahn und provoziert einen zweiten Gruppensuizid? Reagieren die Kinder in ihrer Angst und ihrem Hass über und gehen ihre potenzielle Stiefmutter an? (Die Idee liegt schließlich besonders dann nahe, wenn man weiß, was die Jungs in „Ich seh, Ich seh“ alles mit ihrer Mutter angestellt haben.) Oder kommt die Bedrohung ganz klassisch von irgendwo da draußen in der verschneiten Landschaft, was dann wiederum die widerwillig gemeinsam in der Hütte Eingeschlossenen zu einer echten Familie zusammenschweißt? Aber auch ohne die Gefahrenquelle eindeutig zu benennen, erzeugen Franz und Fiala von Anfang an eine verstörende, unheilverkündende Stimmung.

Etwas von Yorgos Lanthimos und „Hereditary“

Schon bei der Einführung einer falschen Protagonistin in der Tradition von „Psycho“ und „Scream“ fallen sofort die leicht verschobenen Perspektiven von Yorgos Lanthimos‘ Stammkameramann Thimios Bakatakis („Dogtooth“, „The Killing Of A Sacred Deer“) ins Auge: Statt Böden nehmen in den meisten Einstellungen die Zimmerdecken einen ungewohnt großen Teil des Bildes ein, was sich einfach merkwürdig anfühlt und direkt ein ungemütliches Gefühl beim Zuschauer entstehen lässt. Ein früher familiärer Schreckensfall und die ständigen Kamerafahrten durch das Puppenhaus in Mias Kinderzimmer provozieren zudem nahe liegende Vergleiche mit dem 5-Sterne-Meisterwerk „Hereditary“, bevor die christliche Symbolik und die harschen Schneebilder der zweiten Hälfte gar Erinnerungen an die Filme von Ingmar Bergman heraufbeschwören. Aber im Gegensatz zu Ari Aster in „Hereditary“ geht es in „The Lodge“ eben nicht zentral um das Greifbarmachen von familiärem Schmerz ...

... stattdessen steuert das Skript von Franz, Fiala und ihrem Co-Autor Sergio Casci („The Caller“) auf einen großen Twist zu, den man zwar kommen sehen kann, der zugleich aber trotzdem nicht stimmig wirkt, weil sich die Autoren zuvor einfach zu viel Mühe gegeben haben, falsche Fährten zu legen. Nicht wirklich logisch, nicht wirklich überraschend – und trotzdem hält sich die Enttäuschung in Grenzen, wenn einem klar wird, dass die Wendung gar nicht der eigentliche Endpunkt ist, sondern der Film nach diesem Richtungswechsel mit schrecklicher Konsequenz auf dem dadurch neu eingeschlagenen Pfad weiter voranschreitet. Und das tatsächliche Ende ist dann auch sehr viel besser gelungen – ein Film und ein Schluss wie ein Schlag in die Magengrube, von dem man sich anschließend wirklich erst mal erholen muss.

Fazit: Selbst wenn der zentrale Twist nicht zu 100 Prozent sitzt, haben es Veronika Franz und Severin Fiala inszenatorisch einfach voll drauf, mit ihren subtilen Verschiebungen eine unheimlich-ungemütliche Atmosphäre zu kreieren. Daran ändert auch der Dreh in englischer Sprache nichts.

Wir haben „The Lodge“ im Rahmen des Fantasy Filmfest gesehen, wo er als Eröffnungsfilm gezeigt wurde.


http://www.filmstarts.de/kritiken/258171/kritik.html


Zitat:
Filmkritik zu The Lodge

Exklusiv für Uncut vom Karlovy Vary Film Festival


Veronika Franz und Severin Fiala präsentieren nach ihrem „Ich seh Ich seh“-Erfolg von 2014 erneut eine Horrordrama, in dem zwei Kinder und eine mütterliche Figur in sozialer Isolation gefangen sind und sich dieser Zustand bald zum Fatalen wenden wird. Es ist abermals klar, dass irgendetwas passieren wird, was genau hält sich das Drehbuch jedoch bedeckt, da es im Laufe der Handlung Haken in alle möglichen Richtungen schlägt. Der Film hatte in Sundance Premiere und lief auch in der Nachtschiene des Karlovy Vary Filmfestivals. Im September wird er das Slash Filmfestival in Wien eröffnen.

Die beiden Kinder Mia (Lia McHugh) und Aiden (Jaeden Martell) leiden unter der Trennung ihrer Eltern. Eines Tages, als ihre Mutter Laura (Alicia Silverstone) die beiden bei ihrem Vater Richard (Richard Armitage) abliefert, eröffnet dieser ihr, dass er nicht nur die Scheidung will, sondern auch seine jüngere Freundin Grace (Riley Keough) heiraten will. Laura reagiert zunächst einigermaßen ruhig auf diese Information, daheim nimmt sich dann aber überraschend das Leben.

Sechs Monate später leben die beiden Kinder bei ihrem Vater und sind dessen Freundin noch immer nicht warmgesinnt, vor allem da sie ihr die Schuld am Tod ihrer Mutter geben. Und ungewöhnlich ist Grace auf jeden Fall. Ihr Vater Richard, der als Journalist arbeitet, hat sie bei einer Story über einen religiösen Kult kennengelernt. Als Tochter des Anführers war Grace die einzige Überlebende eines Massensuizids. Offiziell scheint es ihr gut zu gehen, aber die Pillen, die sie immer wieder schluckt, lassen noch vorhandene Trauma erahnen.

Um die beiden Parteien näher zusammenzuführen, bringt Richard alle in einer verschneiten Hütte im nirgendwo über die Weihnachtstage zusammen, während er selber zurück in die Stadt fährt, um noch ein paar Arbeiten zu erledigen. Die eisige Stimme zwischen Grace und den Kindern ist die eine Sache, aber eines Tages wachen sie auf und müssen feststellen, dass weder die Heizung, die Elektrizität noch ihre Handys funktionieren. Zudem sind all das Essen und die warme Kleidung verschwunden sowie Graces Medikamente. Der Mangel an ihren Stabilisierern sowie die bizarren Ereignisse, die sich zu häufen beginnen, lassen Grace zunehmend irrational und verrückt spielen. Sucht die tote Laura Rache, ist es vielleicht ihr kultischer Vater oder sind die Ereignisse doch irdische Machenschaften?

Das Skript von Sergio Casci, das er gemeinsam mit den Regisseuren geschrieben hat, lässt diese Fragen bewusst bis zum Schluss offen. Das erzeugt zwar Spannung, kann aber manchmal etwas unterentwickelt wirken. So arbeitet der Film immer wieder mit religiösen Symbolen, die Grace aufgrund ihres Traumas verschrecken, kommentiert diese aber nicht ausreichend, um ein Statement zu machen.

Die düstere Atmosphäre entsteht nicht durch abgenutzte Jump Scares oder Soundeffekte sondern durch die unheimliche düstere Stimmung, die die Kameraarbeit erzeugt. Das Haus, eigentlich wie eine Hütte aus dem Bilderbuch, wirkt abstoßend und bedrohlich und die Kamera fängt die Details in verqueren Winkeln und düsteren Farben ein. Dennoch hätte dem Film die eine oder andere flottere Szene in früheren Abschnitten der Handlung nicht geschadet, statt sich alles für den Schluss aufzuheben. Da helfen auch emotional dichte Szenen wie eine verwirrte Grace, die durch den Schneesturm auf ein leeres Haus zu stapft, nicht.

Die schauspielerischen Leistungen sind beständig, auch wenn das Drehbuch nicht allzu sehr in die Tiefe bei seinen Figuren geht. Keough sticht mit ihrer Leistung als psychisch verwirrter Ex-Fanatikerin heraus, ihr erwachsenes Pendant Armitage bleibt eher im Hintergrund. Silverstone hat nicht viel zu tun, bleibt aber vor allem durch die Anfangsminuten in Erinnerung. McHugh und Martell gelingt der Spagat zwischen kindlicher Verzweiflung und einer etwaigen Düsterheit, die tief unter den Kindergesichtern schlummert.

Franz und Fiala gelingt ein starker, stimmiger Film, der sich im Mittelteil etwas zieht und beizeiten wiederholt, aber dennoch zu einem durchaus zufriedenstellenden Abschluss kommt. Ein leiser aber feiner Psychohorror der beiden österreichischen Regisseure.


https://www.uncut.at/movies/kritik.php?movie_id=13763

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BeitragVerfasst: 06.09.2019, 22:57 
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Eine zweite Kritik vom Fantasy Filmfest:

Zitat:
Filmkritik: The Lodge
Dobrila Kontić
5. September 2019

FANTASY FILMFEST: Mit dem Psycho-Horror The Lodge hat das österreichische Regie-Duo Veronika Franz und Severin Fiala dem Festival einen grandiosen Eröffnungsfilm über die Folgen eines Familienzerfalls beschert.

Was ist die intakte, klassische Familie heute noch wert? Diese Frage wird in The Lodge anhand eines besonders verheerenden Szenarios eingeführt: Dem zweifachen Familienvater Richard (Richard Armitage) ist sie nicht so viel wert wie seine Liebe zur jungen Grace (Riley Keough), für die er seine Frau Laura (Alicia Silverstone) verlassen hat. Die wiederum hat ihre Familie als Lebensmittelpunkt betrachtet. Die Trennung von Richard und seine Verkündung, dass er Grace nun heiraten möchte, ziehen ihr den Boden unter den Füßen endgültig weg. Und die Entrücktheit von Lauras Psyche, die Thimios Bakatakis‘ Kamera ganz zu Beginn des Films angedeutet hat, kulminiert in einer erschütternd konzis gefilmten Selbstmordszene. Zurück bleiben die Kinder Aidan (Jaeden Martell) und Mia (Lia McHugh), die mit einem komplexen Gefühlsgemenge aus Trauer, Enttäuschung und Wut zu ihrem Vater ziehen.

Die intakte Familie als Puppenhaus-Szenario

Wer Ich seh Ich seh (2014), den vielfach ausgezeichneten Vorgänger des Regie-Duos Veronika Franz und Severin Fiala gesehen hat, wird den sich in The Lodge vollziehenden Perspektivwechsel vorhersehen – und doch von der Komplexität dieser Geschichte überrascht sein. Wie damals konzentriert sich der Film zunächst auf den kindlichen Blick, den wir in der zweiten Hälfte des Films gründlich hinterfragen werden müssen. Zunächst betrachten wir, wie sich zwischen Aidan und Mia kurz nach der Beerdigung ihrer Mutter ein enges Band formt, das auch noch nach einem Zeitsprung von sechs Monaten intakt ist. Was sie in dieser Zeit an ihre Mutter und das einstige Familienleben erinnert, ist ein Puppenhaus, das exakt dem winterlichen Feriendomizil der Familie nachempfunden ist.

Dass es ein zentrales Motiv für den Perspektivwechsel dieses Films ist, zeigt uns Kameramann Bakatakis (der vor allem aus der Zusammenarbeit mit Yorgos Lanthimos, zuletzt für The Killing of a Sacred Deer bekannt ist) in bewusst irreführenden Aufnahmen des Puppenhausintérieurs, das auf den ersten Blick wie ein ganz normales Hausinneres anmutet. Im Verlauf des Films werden wir die Miniaturversion noch oft für die reale Holzhütte halten, in die uns The Lodge schließlich führt.

Eine Frage von Distanz und Perspektive

Nachdem Richard nämlich Grace für ein halbes Jahr auf Abstand zu seinen Kindern gehalten hat, will er nun ein Kennenlernen der drei erzwingen. In den Weihnachtsferien und in der Holzhütte, die sie einst als Familie (mit Laura) besucht haben. Ein Plan, der nicht nur bei Genrekennern (Wieso nicht nach einer Familientragödie in ein einsames Feriendomizil mitten im verschneiten Nirgendwo fahren?), sondern auch bei Menschen mit einem Mindestmaß an Fingerspitzengefühl für Kopfschütteln sorgen wird. Aber geschenkt.

Der Perspektivwechsel vollzieht sich kurz nach Ankunft in dem kaum als Hütte zu bezeichnenden, mächtigen Holzhaus. Dessen düsteres Inneres nehmen wir durch Grace‘ Augen wahr, die sich vor allem auf die andächtig-religiösen Dekorationsstücke richten. Sie ist diesem Ort, der überall noch Spuren von Laura trägt, auf vielfache Weise ausgeliefert. Und da wir es als Zuschauer in zahlreichen grauenerregenden Szenen gleichermaßen sind, kommen wir nicht umhin, für Grace ebenso Empathie zu empfinden wie für die Kinder, die ihre Mutter verloren haben. Wie schon in Ich seh Ich seh zeigen uns Franz und Fiala, dass die Distanz zwischen uns und den Figuren im Film durch solche Perspektivwechsel überwunden werden kann. Doch dies ist den Figuren im Film tragischerweise nicht möglich.

Und so sehen wir mit an, wie sich Grace vergeblich Mühe gibt, zu Aidan und Mia eine Beziehung aufzubauen. Dabei ist sie, was Familientragödien betrifft, selbst kein unbeschriebenes Blatt und deswegen sogar auf Psychopharmaka angewiesen. Als Richard für ein paar Tage das Feriendomizil verlassen muss, um zu arbeiten (erneutes Kopfschütteln), bricht für Grace, Aidan und Mia eine Zeit an, in der Realität, Wahn und Manipulation bald nicht mehr auseinanderzuhalten sind.

Und immer wieder sehen wir Bilder des daheim verbliebenen Puppenhauses. Dieses hat den Kindern nicht nur Trost gespendet, sondern sie auch in ihrem Glauben an die Wiederherstellung der einstigen Familie bestärkt – auf unheilvolle Weise. Denkt man an Ari Asters sehr aufwühlenden Psycho-Horror Hereditary (2018) zurück, sieht man die realistischen Miniaturen schrecklicher Familientragödien vor sich, die das dortige Puppenhaus füllten. Beide Filme setzen sich in Bezug auf Familie mit Illusion und Wahn auseinander. In Hereditary wird die Kernfamilie aufgrund einer generationenwährenden Schweigespirale unfreiwillig zum Hort des Dämonischen. The Lodge hingegen zeigt uns, was passiert, wenn man sich von dem Traum der auf Lebenszeit intakten Kernfamilie partout nicht lösen kann: ein sehr sehenswerter, aufwühlender Alptraum.


The Lodge

USA / Großbritannien 2019
REGIE: Veronika Franz, Severin Fiala
DREHBUCH: Veronika Franz, Severin Fiala
KAMERA: Thimios Bakatakis
BESETZUNG: Riley Keough, Jaeden Martell, Lia McHugh, Richard Armitage, Alicia Silverstone
100 Min. Kinostart Deutschland: unbekannt
Gesehen auf dem Fantasy Filmfest Berlin
culturshock-Wertung: 9/10


http://www.culturshock.de/filmkritik-the-lodge/

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BeitragVerfasst: 25.09.2019, 08:57 
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Review mit nachdrücklicher Empfehlung vom Meister: ;)


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https://twitter.com/RCArmitage/status/1176479894521483264


Zitat:
2019 BFI London Film Festival 2019 Film Festivals Film Reviews Horror Top Rated Films

The Lodge (Review) – An icy blast of psychological horror


By Neil Baker on Tuesday, September 24, 2019
Spoiler Free

In 2014 writer/directors Severin Fiala and Veronika Franz brought us one the finest horror films of the past decade with Goodnight Mommy. Now teaming up with screenwriter Sergio Casci they are back with a psychological horror that once again proves their place in the horror fall of fame.

The Lodge wraps you its feeling of quiet discomfort from the outset. Slowly building a sense of tension and foreboding, with a pace that may leave some horror fans cold. However, this is a film less interested in quick shocks and gore than it is the cold reaches of psychological horror. With Severin Fiala and Veronika Franz once more visiting themes of children, parents, trust and subverted innocence. Focusing on family separation, loss and a future stepmother. In a feature that never fully embraces mainstream horror. Maintaining the themes that made Goodnight Mommy a trip into the deepest reaches of psychological terror. The audience never quite sure of where victim meets predator as the story unwinds to its truly horrific conclusions.

In a similar vein to Ari Asters 2018 Hereditary, The Lodge starts in a familiar domestic setting. Richard (Richard Armitage) having left his wife Laura (Alicia Silverstone) for new girlfriend Grace (Riley Keough). Their family broken in two, their young daughter Mia (Lia McHugh) and teenage son Aiden (Jaeden Martell) caught in the middle of the parental turmoil. Both children vehemently apposed to their fathers new girlfriend. Both Aiden and Mia confused at how their dad could have fallen for a women who was once part of a religious cult. Her role in supporting her late fathers religious extremism, and the subsequent death of the cult followers haunting any feasible relationship they may build.

On the unexpected death of their mother. Both Mia and Aiden are encouraged to spend more time with Grace. Their father keen on them building a relationship and dismantling the barriers of indifference and anger the children hold. The traditional Christmas break to the families secluded lodge in the Mountains a perfect opportunity to thaw the ice between Mia, Aiden and Grace. The soon to be stepmother viewing the break as a perfect opening in bonding with Mia and Aiden. Spending two days alone with the children as Richard finishes work in the city in the lead up to Christmas. Her nerves and apprehension outweighed by a need to reconcile the death of their mother with her new role in the family.

As the snow gets deeper surrounding the Lodge and the isolation of Mia, Aiden and Grace grows. The Lodge becomes a catacomb for the ghosts of the past and the anger of the present. The destructive forces of emotional turmoil held within both Grace and the children leading to torment and horror. The joy of Christmas replaced by the nightmare of religious extremism, anger and blame.

The Lodge uses the isolation and cold reaches of its landscape to full effect in building a sense of claustrophobia. The darkness of the wooden hunting Lodge and the glow of its fire clashing with stark white and icy blue of the surrounding landscape. Playing within similar imagery of isolation to that of Misery and The Shining. The outside world disappearing under a sheet of ice and snow. Cinematographer Thimios Bakatakis using colour, light and shadow to powerful effect in drawing the audience into the isolation and fear of a beautiful mountain retreat.

Performances perfectly enhance the sense of unease and trepidation. The doe-eyed innocence of both Mia and Aiden hiding the pain of the loss of their mother. Aiden’s inner thoughts and emotions kept firmly hidden. His cold relationship to everything but his younger sister brilliantly portrayed by Jaeden Martell. While Riley Keough’s Grace is full of vulnerability and fear, her own past still haunting her present, the journey to recovery begun but not yet complete. Her need for love and new beginnings clashing with a past of religious extremism. Keough creating audience empathy that is maintained even as things begin to unravel.

The Lodge provides a deeply unsettling cinematic experience. It’s themes of loss, anger, faith and human manipulation crawling under your skin. Its icy blast of pure psychological horror grabbing hold and not letting go long after its conclusion. Many will draw parallels with the 2018 Hereditary in style and tempo, however, the Lodge is pure human terror. Actions, fears and manipulation sitting front and centre in creating a truly stunning piece of cinematic horror.

Director: Severin Fiala and Veronika Franz

Cast:

UK/USA
The Lodge is showing at BFI London Film Festival from Friday 11th October 2019


https://cineramafilm.com/2019/09/24/the-lodge-review-an-icy-blast-of-psychological-horror/

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BeitragVerfasst: 04.02.2020, 16:15 
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Oh, my. Hier gibt es in Sachen 'The Stranger' und Rewiews/Tweets zu 'Uncle Vanya' genug Rückstände und nun kommen auch noch 'The Lodge'-Reviews: :shock:

Zitat:
The Lodge review – dread-filled chiller with a devastating twist
4 / 5 stars 4 out of 5 stars.

The makers of Goodnight Mommy have crafted a deviously plotted English-language follow-up about an uncomfortable family dynamic put to the test


Benjamin Lee

Tue 4 Feb 2020 06.15 GMT
Last modified on Tue 4 Feb 2020 06.16 GMT


There’s so, so much in writer-director pair Veronika Franz and Severin Fiala’s oppressive chiller The Lodge that recalls Ari Aster’s breakout hit Hereditary that one would be forgiven for initially thinking it was crafted in its shadow. Because it’s not just the shared themes of grief, mental health and familial tension and it’s not just the directorial decision to prioritise an almost suffocating atmosphere of dread over jump scares but there are smaller, more specific elements that are also uncannily similar, giving us an eerie feeling that we’re somehow stuck in the same joyless cinematic universe.

His House review – effective haunted house horror with timely spin

4 out of 5 stars.
Read more

But despite also premiering in a Sundance midnight slot, the similarities are mere coincidence because The Lodge was in pre-production before Hereditary had even been seen. And while comparisons could in theory do more harm than good, for me they worked in its favour because while Hereditary’s lurch from effective, airless family drama to hokey horror dulled its impact, The Lodge’s tighter consistency marks it out as the finer of the pair in many ways, a film that manages to burrow its way under your skin and stay there right through to the horrifying end.

The marketing campaign for the film has been admirably restrained in its unfurling of specific plot details so I’ll also keep them to a minimum. Aidan (It and Knives Out’s Jaeden Martell) and Mia (Lia McHugh) are spending Christmas with their journalist father Richard in a remote, snowy lodge accompanied by his new girlfriend Grace (Riley Keough). They’re displeased by her presence not just because she’s the woman who helped to expedite the dissolution of their parents’ marriage but because she harbors a dark past. When Grace was just 12, her cult-leading father engineered a mass suicide, leaving her as the only survivor. With work beckoning, Richard leaves the kids with Grace for two nights, a dynamic that quickly turns from difficult to dangerous.
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Stripping away the genre-ness of it all, the knotty scenario at the centre of The Lodge, that of a woman trying to bond with the children of her new boyfriend, is rich with uneasy dramatic tension all by itself. It’s a delicate dance and watching it play out is steadily uncomfortable, providing the film with a substantial foundation as a drama before events start turning more explicitly sinister. Austrian aunt and nephew Franz and Fiala, who broke out with 2014’s Goodnight Mommy, understand the importance of creating and sustaining a mood and they use empty space and darkness horribly well throughout, never submitting to easy shock value. I liked parts of their last film but found the ending to be a letdown with an overused and dated twist taking some of the shine off the slow burn that comes before it.

The Lodge is a far more accomplished beast: poking, prodding and teasing as it throws out potential twists before settling on the most devastating one of all. It’s not an entirely unpredictable revelation but it’s a smart, knowing and nasty way to go, taking the film to a place that’s both staggeringly grim and hopelessly sad. The script has interesting, if rather dour, views on the inescapability of a fate that’s dictated by where we’re from and what’s already inside us and there’s a crushing poignancy to the final act that proves more haunting than any of the film’s nastier moments. The film’s descent into hell isn’t without the odd pothole, however, with some ludicrous shifts and a slippery grasp of logic. The reveal raises so many questions that aren’t fully answered and while its specifics are far different, like Jason Reitman’s Tully, it relies on a father so deeply irresponsible that he becomes an unintentional villain.

There’s also strong work here from Keough, an actor whose ability to give very little away has served her well, most notably in the masterly first season of the creepy escorting drama The Girlfriend Experience. Here that same tightly controlled mystery is effective on a number of levels and her refusal to give into hysteria makes the performance all the more powerful. It’s a bruising movie, being sold on the promise that it’s “scary as hell”, a quote that I worry will mislead expectant horror fans. The scariest thing about The Lodge is how human it all is.


https://www.theguardian.com/film/2020/feb/04/the-lodge-review-dread-filled-chiller-with-a-devastating-twist

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BeitragVerfasst: 05.02.2020, 21:16 
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Die Süddeutsche stellt 'The Lodge' ein gutes Zeugnis aus, wenn auch ohne Note:

Zitat:
5. Februar 2020, 18:49 Uhr

Horror im Kino:Hüttenzauber

In dem Psychothriller "The Lodge" ist es verdammt schwer, das Böse genau zu lokalisieren - und gerade das macht diesen Film so beängstigend stringent.


Von Tobias Kniebe


Wenn der Schneesturm losgeht, wird es Zeit für die schlimmsten Befürchtungen. Davor, so lehrt es uns die Geschichte des Horrorfilms, kann in einsamen Waldhütten alles Mögliche passieren. Man kann im Keller zum Beispiel ein magisches Buch finden und ein Tonband mit seltsamen Beschwörungsformeln, mit dem man unwissentlich eine Horde von Dämonen weckt. Man kann aber auch nichts ahnend in eine Art Labor geraten, wo man von einer unterirdischen Geheimorganisation für eine rituelle Zombie-Fütterung als Speise präpariert wird. Und so fort, die Möglichkeiten sind inzwischen nahezu endlos.

Ein Schneesturm aber signalisiert, dass jetzt keine externen oder gar übernatürlichen Kräfte mehr kommen, sondern einfach nur, für mehrere Tage, die totale Isolation. Wer immer dann an einem einsamen Ort ist, ist auf sich selbst zurückgeworfen, auf die psychische Dynamik innerhalb einer kleinen Gemeinschaft, und, beim Starren auf das wirbelnde weiße Nichts vor den Fensterscheiben, auf die eigene geistige Gesundheit. Seit Stanley Kubricks "The Shining" weiß man, dass das grauenvoller werden kann als alle Horrorwesen zusammen, und auf diesen Spuren wandeln jetzt auch Veronika Franz und Severin Fiala mit ihrem Film "The Lodge".

Die titelgebende Hütte am zugefrorenen See, nicht genauer lokalisiert in der Wildnis Nordamerikas, ist schon eher ein ausgewachsenes mehrstöckiges Ferienhaus. Das ermöglicht eine Menge beklemmender, düsterer, bedrückend holzvertäfelter Innenansichten. Beengt sind aber vor allem die psychischen Verhältnisse: Zwei Kinder, die erst vor Kurzem auf tragische Weise ihre Mutter verloren haben, werden gegen ihren Willen mit der jungen Frau zusammengesperrt, in die ihr Vater sich verliebt hat, die er bald heiraten will - und die sie für die Schuldige an der Katastrophe halten.
Ein österreichisches Regie-Duo hat hier seine Liebe zum Horrorgenre brillant ausgelebt

Der Motor des Verderbens ist hier der Mann (Richard Armitage), der um jeden Preis seine Version eines neuen Familienglücks durchziehen will und sich dann zu allem Überfluss auch noch einige Tage davonmacht - er ist Journalist und muss dringend arbeiten. So viel Ignoranz und seelische Grausamkeit, das ahnt man sofort, wird im Laufe des Films nicht ungestraft bleiben, aber erst einmal ist er eben einfach weg. Und man fragt sich, welche bösen Kräfte jetzt wohl erwachen, in den Kindern oder in der jungen Stiefmutter in spe.

Eine Frage, die der Film gnadenlos anstachelt und doch auf brillante Weise sehr lange offenhält. Die junge Grace, sehr nahbar und zugleich undurchschaubar gespielt von Riley Keough, wird als Tochter eines Religionsgurus vorgestellt, der seine Sekte in den kollektiven Selbstmord getrieben hat - sie ist die einzige Überlebende. Seither hat sie ein verständliches Problem mit Kreuzen und anderen religiösen Symbolen, aber sie schlafwandelt auch und weiß nicht genau, was sie in der Nacht so alles macht. So instabil, wie sie ist, könnte sie ein klassisches Opfer für kindliche Rachepläne sein.

Oder aber eine wandelnde Zeitbombe, vor der die Kinder um ihr Leben zittern müssen - schließlich haben sie noch verzweifelt darum gebeten, nicht mit Grace allein gelassen zu werden. Die Geschwister Aidan und Mia (Jaeden Lieberher und Lia McHugh) scheinen sich dennoch in die Situation zu fügen. Als dann seltsame Dinge passieren, etwa der Ausfall von Heizung und Strom oder das nächtliche Verschwinden aller Vorräte, wirken sie genauso verstört wie Grace. Obwohl böse Dinge in der Luft liegen, machen Veronika Franz und Severin Fiala es verdammt schwer, das Böse genau zu lokalisieren. In der Sphäre des Religiösen, das zunehmend in die Bilder drängt, liegt jedenfalls keinerlei Erlösung - so viel ist mal klar.

Und das ist das Besondere bei diesem mehr als ungewöhnlichen Regieduo aus Österreich, das sehr fern vom amerikanischen Nordwesten seinen Stil gefunden hat. Veronika Franz, 65, schreibt und produziert mit ihrem Mann Ulrich Seidl seit Langem düster-verstörende Analysen ihres Heimatlandes, dokumentarisch und fiktional zugleich. Aber mit Severin Fiala, 35, hat sie eine gemeinsame Liebe zum Horrorfilm entdeckt, die begann, als der Teenager Fiala zum Babysitten bei den Seidls war, sich dabei in die Videosammlung vertiefte und in Veronika Franz die perfekte Gesprächspartnerin fand.
Erst aufreibender Schwebezustand, dann ein krasser Twist: Die Stimmung dieses Films wirkt noch lange nach

"Ich seh ich seh" war 2014 ihr Spielfilmdebüt, auch schon im erweiterten psychologischen Horrorgenre, auch schon in einem einsamen Haus am Rand der Natur, allerdings in Österreich, mit zwei tief verstörten Kindern und einer Mutter am Rand des Nervenzusammenbruchs. Auch damals wurde es ziemlich grausam, und auch damals war es bis zum Schluss fast unmöglich zu sagen, wer hier eigentlich Täter und wer Opfer war.

Dass die Filmemacher eine Altersdifferenz von dreißig Jahren trennt, merkt man in beiden Filmen jedenfalls überhaupt nicht - ihre Vision ist beängstigend stringent und auch visuell von größter Eleganz und Klarheit. Die Spannung, die ihre Geschichten beherrscht und manchmal von innen zu sprengen droht, ist selbstauferlegt. Dieses Regieduo strebt nach psychologischer Glaubwürdigkeit in allen Figuren und Performances, besonders aber bei den Kindern, und das gelingt auch sehr gut. Zugleich aber spielen sie das Spiel des Genres mit, am Ende einen krassen Twist zu servieren - eine Enthüllung, die alles bisher Gesehene auf den Kopf stellt und noch einmal neu sortiert.

Das stellt dann für die Zuschauer, die lange in nervenzerfetzender, brillant balancierter Ambivalenz festgehalten werden, eine gewisse Herausforderung dar - klassische, eher an Logik orientierte Horrorfans reagieren nach dem Finale eines Franz/Fiala-Films schon mal mit Protest und fühlen sich ausgetrickst. Alle anderen aber gehen mit dem Gefühl aus dem Kino, dass das Leben schon wirklich absurd und grausam werden kann, selbst wenn niemand wirklich mit bösen Absichten antritt. Und diese Stimmung bleibt einem dann im Kopf, wo sie noch einige Wirkung entfaltet, lange über das Ende des Films hinaus.


https://www.sueddeutsche.de/kultur/horror-im-kino-huettenzauber-1.4785500

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BeitragVerfasst: 07.02.2020, 12:25 
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Auch in der Heimat des Regieduos setzt man sich fundiert mit dem Film auseinander:
https://orf.at/stories/3153037/

Zitat:
The Lodge
Eiskaltes Fegefeuer
Ein einsames Haus, zwei Kinder, eine Mutter – mehr brauchen Severin Fiala und Veronika Franz nicht, um ihr Publikum das Fürchten zu lehren. So war es 2014 in „Ich seh, ich seh“. Und so ist es wieder in „The Lodge“, dem ersten englischsprachigen Horrorfilm des österreichischen Regieduos.

Online seit gestern, 21.08 Uhr

„The Lodge“ spielt, wie der Titel schon sagt, in einer Hütte, genauer gesagt in einer Blockhütte, einsam versunken im tiefverschneiten kanadischen Wald. Hier fährt kurz vor Weihnachten ein Jeep vor, darin ein Vater (Richard Armitage) mit seinen Kindern, Ayden (Jaeden Martell) und dessen jüngerer Schwester Mia (Lia McHugh).

Mit dabei ist auch die junge Freundin des Vaters, Grace, (gespielt von Elvis Presleys Enkelin Riley Keough) und ihr weißer Schoßhund. Es ist leicht zu sehen, dass die Kinder die Neue verachten. Sie halten zu ihrer Mutter (Alicia Silverstone), die der Vater für die andere verließ. Und gerade hier in der Hütte erinnert jeder Zentimeter an vergangene Zeiten mit der damals noch intakten Familie.

Die Koffer sind noch nicht ausgepackt, da erhält der Vater eine Nachricht. Er wird in der Stadt, am Arbeitsplatz gebraucht. Ob die Freundin bei den Kindern bleiben kann? Es sind ja nur ein paar Tage. Der Vater fährt, und lässt die anderen in der Hütte zurück, wo sie langsam eingeschneit werden.

„Häuser als Charaktere“


„Wir sehen unsere Häuser als Charaktere, die im Spiel eine eigene Rolle übernehmen. Insofern sind sie ambivalent“, erklärte Regisseurin Franz im Gespräch mit ORF.at. „Ein Haus kann Heimat sein oder zu einem Ort der Angst und Depression werden.“ Dass dieses Haus jedenfalls keine Geborgenheit spendet, wird spätestens klar, wenn der Strom ausfällt, die Lebensmittelvorräte geplündert werden und die Weihnachtsdekoration verschwindet. Doch wer oder was ist hier am Werk? Hat Grace damit zu tun, in der die Kinder bei einer Google-Recherche die einzige Überlebende einer Selbstmordsekte erkennen?

Dutzende Schneeengel, Körperabdrücke, wie Kinder sie hinterlassen, erscheinen über Nacht vor der Terrasse. Und auch das Eis des Sees vor der Haustür ist brüchiger als gedacht: „Die Frage ist immer: Was verbirgt sich hinter den Oberflächen?“, so Fiala. „Die Ausstattung eines Hauses bedeutet für eine Familie Identität. Das war so bei ‚Ich seh, ich seh‘, und bei ‚The Lodge‘ ist es so ähnlich.“

Nichts für schwache Nerven

Im Innern der Hütte holt eine geheimnisvolle Kraft ihr erstes Opfer – und beginnt so einen Kampf um die Wahrnehmung. Wer ist Täter, wer Opfer, wer träumt, wer lebt – und wer ist längst gestorben? Die Hausbewohner scheinen ebenso verloren ahnungslos wie das Publikum. Bei ihrem Spiel der Täuschungen und falschen Fährten kennen Fiala und Franz kein Pardon: „The Lodge“ ist definitiv nichts für schwache Nerven und könnte Zuschauerinnen und Zuschauer, die empathisch auf Kinder und Hunde reagieren, verstören. Als Faustregel könnte gelten: Wer Michael Hanekes „Funny Games“ hasste, sollte „The Lodge“ lieber meiden.

„Ausgesetzt in dieser Einsamkeit wollten wir eine Fegefeuer-Situation schaffen“, bringt Franz ihr Vorhaben auf den Punkt, „eine Zwischenwelt zwischen Gut und Böse, zwischen Lüge und Wahrheit, das sollte dieses Haus sein. Draußen liegt die Landschaft wahnsinnig schön, dunkel und kalt: Ich stelle mir ja das Fegefeuer nicht heiß vor.“

Alptraumversion des Vertrauten

Das sich entwickelnde Kammerspiel hat der griechische Kameramann Thimios Bakatakis („The Lobster“, „The Killing of a Sacred Deer“) in hypnotische Bilder gepackt. Sein Blick bleibt dicht bei Kindern und Mutter. Eine angeschlagene Mutter, die wie in „Ich seh, ich seh“ auch nicht die „richtige“ Mutter ist. Sie ist nur eine Fast-Mutter, eine unheimliche Nachahmerin, vor der man sich fürchtet, zumal der Film Hinweise auf ein psychisches Leiden streut.

Gerade deshalb ist „The Lodge“ wohl auch so beklemmend. Er greift, ganz im Sinne des „Unheimlichen“ gemäß Sigmund Freud Vertrautes auf und wandelt es ab, was „The Lodge“ so heftig macht. Denn wer könnte schon von sich behaupten, nie Kind gewesen, in einem Haus gewohnt oder keine Mutter gehabt zu haben?

„Meine Mutter hat mit mir Erschrecken unter der Bettdecke gespielt“, erinnert sich Franz an eine Szene aus ihrer eigenen Kindheit. „Einmal hat sie es so gut gespielt, dass ich dachte, sie ist wirklich verwandelt. Das Vertraute, hatte sich verschoben. Mich hat’s gegruselt, noch lange danach. So funktionieren auch unsere Filme. Die bauen nicht auf Jump-Scares, also schnelle Schreckmomente, sondern auf Ängste, die in den Zuschauern liegen.“

Maya McKechneay, für ORF.at

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BeitragVerfasst: 07.02.2020, 13:21 
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Uhtred's warrior maiden
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https://www.spiegel.de/kultur/kino/horr ... 8e51b909f4

Zitat:
Horrorfilm "The Lodge"
Der Trauma-Urlaub
Allein mit den feindseligen Stiefkindern im Schnee festgesetzt: Mit "The Lodge" beweisen sich Veronika Franz und Severin Fiala erneut als Meister des Schreckens, der in Eltern-Kind-Beziehungen steckt.

Von Hannah Pilarczyk
07.02.2020, 10:05 Uhr


"Was, wenn wir tot sind?", fragt Teenager Aidan (Jaeden Lieberher) die Verlobte seines Vaters und damit Stiefmutter in spe Grace (Riley Keough). Komische Frage? Nein, gute Frage, sehr gute sogar.

Denn zum einen legt die Situation, in der sich Aidan und seine kleine Schwester Mia (Lia McHugh) zusammen mit Grace befinden, nahe, dass etwas fürchterlich falsch ist. Kaum haben die drei die erste Nacht im Ferienhaus der Familie in der tief verschneiten Provinz verbracht, verschwinden Kleider und Essen, fällt der Strom aus, das Wasser ebenso. Vor allem kommt aber keiner, nicht einmal Vater Richard (Richard Armitage), um ihnen zu helfen.

Zum anderen ist "Was, wenn wir tot sind?" auch deshalb so eine gute Frage, weil sie zeigt: Aidan weiß um Filme wie "The Sixth Sense", in denen Tote die längste Zeit nicht realisieren, dass sie bereits gestorben sind. Dieses Wissen macht in "The Lodge" einen subtilen, aber entscheidenden Unterschied - wie so vieles sonst in diesem exquisiten Werk. Denn Horrorfilme gibt es zwar fast so lang wie das Kino selbst, doch die längste Zeit waren sie in einer Welt angesiedelt, in der es sie selbst nicht zu geben schien.

Frauen gingen deshalb allein nächtliche Straßen ab, Suchtrupps trennten sich, obwohl vorher dringend geraten wurde, immer beisammenzubleiben, und dunkle Häuser, in denen sich womöglich Gewaltverbrecher versteckten, wurden betreten, ohne die Ankunft der Polizei abzuwarten. In den Neunzigern fingen die "Scream"- und "Scary Movie"-Reihen schließlich an, Witze über diese Art von Genre-Unbewusstsein zu machen und verstiegen sich zum Meta-Zitatereigen. "What's your favorite scary movie?", fragt der Mörder gleich am Anfang von "Scream" (1996) sein erstes Opfer.

Veronika Franz und Severin Fiala, Autoren- und Regiegespann von "The Lodge", setzen nun noch mal neu an und verwandeln filmhistorisch informierte Ironie in Paranoia. Denn mit dem Wissen um die Topoi des Horrorfilms erweitert sich der gedankliche Spielraum, wie es so weit im Ferienhaus kommen konnte, maßgeblich - für die im Haus Festgesetzten ebenso wie für das Publikum, das den Kanon kennt.

Filminfo The Lodge
UK/Kanada/USA 2019
Regie: Severin Fiala, Veronika Franz
Drehbuch: Sergio Casci, Severin Fiala, Veronika Franz
Darstellende: Riley Keough, Jaeden Lieberher, Lia McHugh, Richard Armitage, Alicia Silverstone
Produktion: FilmNation, Hammer Films
Verleih: SquareOne
Länge: 108 Minuten
Freigegeben: ab 16 Jahren
Start: 6. Januar 2020

Wie die dichte Schneedecke, die sich von der Veranda des Hauses bis zum milchig-trüben Horizont zu erstrecken scheint, breiten sich die Möglichkeiten dessen aus, was bereits passiert ist und was noch passieren kann. Eine Kleinfamilie in einem abgelegenen Haus - das hat nicht zuletzt bei "The Shining" zu einem axtschwingenden Vater geführt und mündete auch schon in "Ich seh ich seh", dem gefeierten Spielfilmdebüt von Franz und Fiala, in einem Feuerinferno.

Traditionalistische Horrorfans, die stetig anwachsende Spannung und ebenso eskalierende Gewalt erwarten, wird "The Lodge" trotzdem frustrieren. In ihrem Zwillingshorror "Ich seh ich seh" verfolgten Franz und Fiala noch eine Grundidee mit grandioser Unnachgiebigkeit. Von einem Schockmoment am Anfang abgesehen, gehen sie hier nun in die Fläche und schreiten diese zusammen mit Thimios Bakatakis hinter der Kamera ("The Lobster", "The Killing of a Sacred Deer") fast schon provozierend gelassen ab.

Im Gegensatz zu Ari Aster, der sich in "Midsommar" angesichts der Fülle von verfügbaren Zeichen und Zitaten in der Beliebigkeit verlor, läuft bei Franz und Fiala jedoch ein Erzählstrang mit, den sie nie fallen lassen: der von familiären Traumata. Die Kinder haben vor Kurzem ihre Mutter gewaltvoll verloren und machen dafür Grace als neue Partnerin des Vaters verantwortlich. Grace wiederum ist in einem evangelikalen Kult aufgewachsen. Als die Sekte kollektiven Suizid begann, war sie die einzige, die überlebte.

Womöglich könnten die drei irgendwann den Schrecken hinter sich lassen - wenn Graces Therapeut nicht ausgerechnet Vater Richard wäre, der es zudem für eine gute Idee hält, traumatisierte Kinder und traumatisierte Stiefmutter die Familienzusammenführung allein proben zu lassen.

Die grauenhaften Möglichkeiten, die sich aus dieser Konstellation heraus ergeben, sind, wie gesagt, vielgestaltig. Am Schluss ist der größte Horror in "The Lodge" jedoch, mit welcher Konsequenz Franz und Fiala die Psychologie ihrer Geschichte zu Ende führen. Die Hoffnung, dass alles hätte anders kommen können: Sie war von Anfang an vergebens.

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BeitragVerfasst: 07.02.2020, 13:22 
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Uhtred's warrior maiden
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https://www.tagesspiegel.de/kultur/the- ... 19896.html

Zitat:
„The Lodge“ im Kino
So belebt Riley Keough die Rolle der bösen Stiefmutter neu
Der psychologische Horrorfilm „The Lodge“ handelt von familiären Traumata, führt das Publikum aber immer wieder geschickt auf falsche Fährten. JONAS BICKELMANN

Sie müssten einander bloß vertrauen, die verstörten Kinder und die undurchsichtige Stiefmutter in „The Lodge“, der ersten internationalen Produktion des österreichischen Regie-Duos Veronika Franz und Severin Fiala. Es könnte ja alles gut werden. Wenn das mit dem Vertrauen nur so einfach wäre.

Ihre Mutter Laura (Alicia Silverstone) hat aus Verzweiflung Suizid begangen, eine drastische Eröffnungsszene. Mia (Lia McHugh) und Aidan (Jaeden Martell) sind darum gar nicht begeistert, als Vater Richard (Richard Armitage) ihnen erklärt, dass er seine junge Freundin Grace (Riley Keough) heiraten wird.

Das ist die Ausgangssituation von „The Lodge“, der schon früh das Terrain zwischen Familienhorror und Psychothriller erkundet. Nach dem traumatischen Zwischenfall müssen sich die Kinder und Grace erst aneinander gewöhnen. Darum schlägt der Vater einen Weihnachtsurlaub in ihrer Waldhütte am See vor.


Mia und Aida haben auf Weihnachten mit der neuen Patchworkfamilie, abseits der Zivilisation, natürlich keine Lust: Sie kennen die Vorgeschichte von Grace. Ihr Vater war der Anführer einer christlichen Sekte, die kollektiv Selbstmord beging. Grace überlebte als einzige den Massensuizid, Richard lernte sie bei der Recherche zu einem Buch kennen.

Franz, die mit ihrem Partner Ulrich Seidl unter anderem die Drehbücher für „Hundstage“ und „Import Export“ schrieb, und Fiala zeigen sowohl für die traumatisierte Grace als auch für die beiden Halbwaisen Empathie. Die gemeinsame Erfahrung des Todes verbindet sie, treibt aber auch einen Keil zwischen die junge Frau und die Kinder, die ihrer Stiefmutter in spe die Schuld am Tod der Mutter geben.

Als Richard nur kurz nach der Ankunft aus beruflichen Gründen wieder abreisen muss, bleiben die drei allein in dem verlassenen Landhaus zurück, dass durch den einsetzenden Schnee bald von der Welt abgeschnitten ist.

Horror mit mehreren Blickwinkeln
Die Bilder des griechischen Kameramanns Thimios Bakatakis („Attenberg“) sind gekonnt stilisiert, die Interieurs schlicht und modern, wie für ein Depri-Instagram designt. Ein kühle Oberfläche. Die Stärke von „The Lodge“ liegt darin, dass der sich entspinnende Horror glaubhaft verschiedene Perspektiven einnimmt.

Zunächst bleibt der Film ganz nahe an Aidan und Mia und schockt mit jump scares, wenn Grace nachts im Wahn durch das Ferienhaus schleicht. Später kehrt sich die Konstellation um. Sukzessive erweist sich Grace keineswegs als Karikatur der bösen Stiefmutter.


Die überzeugendsten Szenen beschreiben das stille Ringen um Macht wie auch die Liebe des Vaters in seiner ganzen Widersprüchlichkeit. An alltäglichen Dingen entfaltet sich die Tragik: wenn Grace versehentlich die Wollmütze der toten Laura anzieht oder sie den pubertierenden Aidan zur Rede stellt, weil zwischen ihnen offensichtlich etwas nicht stimmt. Es ist der sehr reale Horror einer Familie in einer Ausnahmesituation.

Das Grauen bleibt stets vertrauten Genretopoi verhaftet, nicht zuletzt, weil der Handlungsort eine Referenz an das leere Hotel in „The Shining“ ist. Religiöse Verblendung war zudem gerade auch Thema im Folk-Horror von „Midsommar“. Bei Franz und Fiala führen diese Motive aber in die Irre.

Sie spielen dabei immer wieder mit den Erwartungen an das Genre. Oft bleibt dann doch der Schockmoment aus, was den Film so unberechenbar macht. Grace’ Sektenvergangenheit hätte allerdings etwas mehr psychologische Tiefe vertragen.

Überraschende Wendung
In der verlassenen Hütte mehren sich bald die beunruhigenden Ereignisse. Aber wer hier was inszeniert und wer fantasiert, bleibt vage. Grace versinkt ohne ihre verschwundenen Pillen immer tiefer in Flashbacks: „Repent!“ („Tu Buße!“) steht auf dem beschlagenen Badezimmerspiegel, im Unterbewusstsein hört sie die Stimme ihres fanatischen Vaters.

Im letzten Drittel wenden Franz und Fiala den Film noch mal in eine neue Richtung. Der letzte Dreh ist verblüffend, obwohl es sich wieder nur um einen Genretopos handelt.

Franz und Fiala stiften so effektiv Verwirrung, weil ihr Plot nicht an einer verfluchten Person hängt, sondern der Fluch alle betrifft. Grace versucht verzweifelt, ihrem Sektentrauma zu entkommen. Die spannende Frage bleibt, wie viel Machtkampf sich schon hinter der angeblichen Idylle des Rollenmodells aus Vater, Mutter und Kindern verbirgt. Die Abgründe des scheinbar souveränen Richard und die Verunsicherung von Aidan und Mia sind für die Handlung genauso wichtig wie Grace’ Trauma, sie bleiben aber nur angedeutet.

Für diese Abgründe steht das wiederkehrende Bild des Puppenhauses. Der Horror von „The Lodge“ spielt nicht nur in der einsamen Waldhütte, sondern auch in der scheinbar idealen Modellwelt der perfekten Familie.

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BeitragVerfasst: 07.02.2020, 13:26 
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Uhtred's warrior maiden
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Die "Gala" ist nicht überzeugt:
https://www.gala.de/lifestyle/film-tv-m ... 20450.html

Zitat:
THE LODGE
Zu leise rieselt der Schnee


vor 15 Stunden
"Bereue deine Sünden" - die christlich-konservative Aufforderung wird zum enervierenden Mantra im Horror-Thriller "The Lodge".

"Draußen lauert das Unbekannte" - Riley Keough als Grace in "The Lodge"


© SquareOne Entertainment
Die Vorzeichen für "The Lodge" auf einen gelungenen Horror-Thriller stehen gut: Mit den Österreichern Veronika Franz (55) und Severin Fiala (35) besitzt der Film ein fähiges Regie-Duo, das mit seinem international gefeierten Debüt "Ich seh, Ich seh" von 2014 einen ungewöhnlichen Schocker ablieferte. Dazu gibt es eine klare Handlung, die trotz Kompaktheit unvorhersehbar wirkt. Und einen spannenden, dem Genre zumutbaren Cast, darunter den gefragten Jungstar Jaeden Martell (17, "Es", "The Book of Henry") und Alicia Silverstone (43, "The Killing of a Sacred Deer").

Die bringt sich allerdings gleich zu Beginn des Films um, nachdem sie erfährt, dass sich ihr Mann Richard (Richard Armitage, 48, "Der Hobbit"-Trilogie) von ihr scheiden lassen und seine jüngere Freundin Grace (Riley Keough, 30, "It Comes At Night") heiraten will. Laura (Alicia Silverstone) erschießt sich ganz plötzlich am Esstisch, vermutlich litt sie unter Psychosen. Wegen ihrer Kinder Aiden (Jaeden Martell) und Mia (Lia McHugh) hat sie dadurch - nicht ganz glaubhaft, aber für die Story notwendig - keinen inneren Konflikt.

SONJA KIRCHBERGER

Darum zieht sie in den Dschungel

Sonja Kirchberger möchte im australischen Busch an ihre Grenzen gehen
VIDEO (1:07 MIN.)
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Vermeintlich Idyllische Abgeschiedenheit in den Bergen
Sechs Monate später hat sich die Situation nicht grundlegend verbessert, Mia und vor allem Aiden misstrauen der sonderbaren Neuen ihres Vaters und geben Grace die Schuld am Tod ihrer Mutter. An einem Abend entdecken die beiden ein Video auf dem PC ihres Vaters. Darin erfahren sie, dass Grace Mitglied einer Art obskuren religiösen Sekte war, bei der sich alle Mitglieder selbst töteten. Als Tochter des Sektenführers hat sie als einzige überlebt - Richard lernte Grace offenbar durch eine Story über den Kult kennen. Gegen ihre Traumata schluckt sie Pillen.

Um die beiden Parteien zusammen zu bringen, fährt Richard mit Grace und seinen Kindern über die Weihnachtstage in eine abgelegene Hütte in den Bergen. Richard selbst muss arbeitsbedingt nochmal zurück in die Stadt, und so müssen die übrigen drei die Zeit miteinander in der Hütte verbringen, während draußen leise der Schnee rieselt. Damit greift "The Lodge" auf ein gewohntes, durchgekautes Setting zurück: Eine verschneite Berghütte im Wald, Abgeschiedenheit, konträre Protagonisten eingepfercht auf engstem Raum - das kennt man zu Genüge. Zwar spielt der Film relativ wenig im Dunkeln, ein verstörender Bild-Kontrast wie in Ari Asters (33) "Midsommar" (2019) entsteht dadurch aber keinesfalls.

Was stimmt eigentlich nicht mit Grace?
Gedreht ist der Film im unverwechselbaren Stil von Regisseur Yorgos Lanthimos (46, "Dogtooth", "The Lobster,) - kein Wunder, dessen Stamm-Kameramann Thimios Bakatakis (50) arbeitet auch hier mit verschobenen Decken-Perspektiven und ungewöhnlichen Winkeleinstellungen, was für den Zuschauer eine beklemmende Atmosphäre zur Folge hat. Zu plakativ sind hingegen die immer wiederkehrenden religiösen Motive wie das Madonnen-Bild und Kruzifix, die von den durch die Holzhütte hallenden Mantren "Tu Buße" und "Bereue deine Sünden" begleitet werden. Diese Aufforderungen sprechen scheinbar zu Grace aus ihrer Vergangenheit, was für sie qualvoller ist, als sie anfangs zugeben will. Doch was genau ist ihr Problem, vor was fürchtet sich die Frau?

Im Laufe der Story treten vermehrt unerklärliche Phänomene auf, die sehr lange nicht aufzudecken sind. Zuerst funktioniert die Heizung im Haus nicht mehr, anschließend fällt die Elektrizität aus und dann verschwinden auch noch die Essensvorräte, Weihnachtsgeschenke und Graces Medikamente. Die wird immer mehr von Wahnvorstellungen geplagt, deren Ursache (noch) nicht zu erschließen ist. Wird sie von den Dämonen der Sekte heimgesucht, haben die Kinder sie verhext oder ist es der Geist der toten Mutter?

Die Strategie ist ähnlich zu der aus dem Horror-Hit "Hereditary - Das Vermächtnis" (2018). Die Filmemacher lancieren hier für das Publikum eine undurchsichtige Rollenverteilung. Wer hat hier vor wem Angst und wer oder was ist überhaupt böse? Franz und Fiala legen gekonnt falsche Fährten, übertreiben damit aber. Dadurch ergibt sich keine steigende Spannungskurve - es sind mehr aneinandergereihte, abgehackte Ereignisse, die zwar den Zuschauer verwirren, in ihrer Vorgehensweise aber nicht wirklich stringent und dadurch unwirksam erscheinen. Gerade das oft verwendete Genre-Sujet des Okkultismus wirkt hier auf Dauer ermüdend.

Dadurch glückt letztlich auch der finale Twist nicht, obwohl der Schluss emotional durchaus greift - insofern man ihn nicht schon erahnen konnte.

Fazit
Mit ihrem zweiten Spielfilm "The Lodge" haben sich Veronika Franz und Severin Fiala leider nicht selbst übertroffen. Der Horror-Thriller hat einen überzeugenden Cast, seine Figuren sind jedoch nicht ausgearbeitet. Die Geschichte hält mit seinen Finten lange dicht, stört sich dadurch aber selbst in seiner Spannung und Logik. Die vielen unbeantworteten Fragen haben zu viele Fragezeichen. "The Lodge" ist ein leiser, unaufgeregter, aber auch zäher Schocker, der den Zuschauer zu lange an der Nase herumführen will.

© SpotOnNews


THEMEN RICHARD ARMITAGE SCHNEE ALICIA SILVERSTONE SEKTE DER HOBBIT RILEY KEOUGH KONFLIKT YORGOS LANTHIMOS

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BeitragVerfasst: 07.02.2020, 18:56 
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Immerhin konstatiert sogar die Gala einen "überzeugenden Cast". :daumen: Danke für all die Reviews, Arianna. :kuss:

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BeitragVerfasst: 08.02.2020, 17:39 
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Das 'Neue Deutschland', zu dem ich historisch bedingt ein kritisches Verhältnis habe, überrascht mich erneut mit einer interessanten und positiven Kritik eines Films mit Richard:

Zitat:
Horrorfilm »The Lodge«
Im ewigen Weiß

Das moderne Kino des Unbehagens: Der großartige Horrorfilm »The Lodge«, der die bürgerliche Familienidylle zerschlägt, bietet erfreulicherweise eine umfängliche Trostlosigkeit.

Von Nicolai Hagedorn

08.02.2020 Kunst & Kritik

Die Bücher werden geradegerückt, ein Glas Rotwein wird auf dem Tisch mitten in der mit Designer-Schnickschnack vollgestellten Wohnung platziert, Kronleuchter, Tischlampe, Zimmerpflanze, alles ist an seinem Platz. Weiße Wände, weiße Gardinen, das Kreuz an der Wand hinter ihr, ein Mittelschichtstraum ganz in Weiß, jetzt kann sie sich erschießen. In dem Moment, in dem das Blut an die Wand klatscht, zuckt sie zusammen, als hätte sie die durchschlagende Wirkung, die Endgültigkeit der Kugel im Kopf überrascht: In den ersten sieben Minuten zerschlägt der Film »The Lodge« die bürgerliche Mutter-Vater-zwei-Kinder-Idylle so restlos, dass hier schon zu ahnen ist: Ein Zurück gibt es nicht.

Ob und inwieweit das auch allegorisch zu verstehen ist, sei dahingestellt: Der neue Film des österreichischen Regieduos Veronika Franz und Severin Fiala beobachtet seine Protagonisten in den folgenden 100 Minuten dabei, wie der Versuch eines Zurück scheitert.

Mit dem Selbstmord der Mutter (Alicia Silverstone) stirbt für ihre mehr oder minder adoleszenten Kinder Mia und Aidan auch die letzte Hoffnung auf eine familiäre Wiedervereinigung. Stattdessen sehen sie sich mit dem Plan ihres Vaters Richard (Richard Armitage) konfrontiert, dass die Kinder - bei einem gemeinsamen Urlaub in der alten Familienhütte fernab der Zivilisation - dessen neue Verlobte Grace (Riley Keough) besser kennenlernen sollen. Grace ist die einzige Überlebende eines Massenselbstmordes der religiösen Sekte, in der sie aufgewachsen ist. So wie Richard das Kleinfamilienideal durch Substituierung der toten Mutter wiederherstellen will, sucht also auch Grace Ersatz für die verloren gegangene Familie, nur spielen Mia und Aidan nicht wie geplant mit und bleiben feindselig. Bald verschwindet der Vater, er muss arbeiten, und lässt die neue Verlobte und die Kinder in der inzwischen eingeschneiten Einöde zurück.

Die Bestürzung, die der Film auslöst, erwächst sowohl aus einzelnen Szenen als auch aus seiner unbarmherzigen Konsequenz. Selten hat man etwa ein kleines Mädchen so bitterlich weinen hören und sehen wie die von Lia McHugh großartig verkörperte Mia und selten einen Vater so unangemessen Unsinn faseln: »Mama würde nicht wollen, dass du weinst, dass du dir Sorgen machst.« Mia besteht jedoch darauf: »Sie kann nicht in den Himmel kommen. Du verstehst das nicht.« Als die Tochter den Vater wegschickt, holt sich ihr Bruder das Bettzeug aus seinem Zimmer, legt sich neben sie. Hand in Hand schlafen sie ein.

Der geschwisterliche Pakt ist damit geschmiedet, und indem Franz und Fiala den Schmerz der beiden gewissermaßen körperlich fühlbar machen, sorgen sie für die nötige Fallhöhe für das, was dann folgt. Denn wo die einmal angerichtete emotionale Zerstörung nicht zu immer neuem Grauen führen soll, wären Empathie, echtes Mitfühlenkönnen gefragt, bewusste Trauerarbeit müsste geleistet und zugelassen werden. Doch dazu ist hier niemand imstande. Wo der Vater es allen Ernstes für akzeptabel hält, die Kinder in dieser Situation alleine zu lassen, noch dazu mit der bei den Kindern verhassten und selbst psychisch labilen neuen Partnerin, noch dazu in einer eingeschneiten Hütte, lässt Grace nichts unversucht, die Sympathie der Kinder zu gewinnen - und bleibt damit, allein auf verlorenem Posten, überfordert. Bald wird die Frage, ob und wie dieses Leben noch vom Tod zu unterscheiden ist, in »The Lodge« zum Thema, an dem sich alles bricht und entscheidet.

Wie schon in »Ich seh Ich seh«, dem letzten Film der beiden Regisseure, steht dabei die Möglichkeit der Versöhnung, des Vergebens und Verstehens immer greifbar im Raum. Es gibt durchaus Annäherungen, etwa zwischen Mia und Grace, oder auch eine Szene, in der man sich gemeinsam einen Film ansieht, in der kurz so etwas wie Harmonie einkehrt - gleichzeitig stehen für den Fall des Scheiterns der Beziehungen Terror, Gewalt und Vernichtung stets beflissen bereit.

So fiebern wir hier nicht mit einer »guten« Figur, die sich gegen das Böse wehren muss, sondern mit der Möglichkeit gelingender Kommunikation, eines Aufeinanderzu- und -eingehens. Der Zuschauer identifiziert sich mit allen Figuren gleichzeitig, während deren an der Unfähigkeit zur Einfühlung und an den eigenen Dämonen scheiterndes Handeln das Grauen selbst produziert. Das Unheimliche liegt in der Unmöglichkeit einer Verständigung.

So wird der Film immer unangenehmer, die Szenerie immer trauriger und wahnhafter, während die Fronten hart bleiben wie die Herzen der beiden Jugendlichen. Nichts an »The Lodge« will den Zuschauer aufmuntern, »mitnehmen«, mit einem guten Gefühl zurücklassen, jedenfalls nicht auf der erzählten Oberfläche. Verstehen funktioniert hier anders: Indem wir als unbeteiligte Zuschauer das können, was die Figuren nicht schaffen, nämlich mitfühlen und die für das grausame Verhalten ursächlichen Verletzungen reflektieren, stellen wir selbst eine mögliche Gegenthese zur umfänglichen Trostlosigkeit des Films dar.

Franz und Fiala sind großartige Gruselproduzenten. »The Lodge« ist träge, alles entwickelt sich gewissermaßen in quälender Zeitlupe. Echte Monster gibt es nicht, aber die Existenz des Übersinnlichen bleibt als Möglichkeit latent. Die von Thimios Bakatakis geführte Kamera, der unter anderem in seiner Zusammenarbeit mit dem Regisseur Yorgos Lanthimos (»The Lobster«, »The Killing Of A Sacred Deer«, »The Favourite«) seine Virtuosität unter Beweis gestellt hat, will alles ganz genau zeigen und ist dabei so lichtscheu wie die gezeigten Vorgänge. Dazu kommt ein eiskalt klirrender Score, der plötzlich sehr orchestral und laut werden kann und zur ungemütlichen Atmosphäre beträchtlich beiträgt.

Die Natur, hauptsächlich bestehend aus ewigem, unüberwindlichem Weiß, bildet indes das eiskalte, unentrinnbare Universum, in und vor dem sich die Tragödie abspielt. Mittendrin die dunkle Hütte, deren Zimmer irgendwie zu klein, zu niedrig, in jedem Fall zu eng sind, und schließlich die Gesichter der Insassen, denen die Großaufnahmen mitunter so nah kommen, dass sie die gesamte Leinwand einnehmen.

Riley Keough gelingt es eindrücklich, Graces Überforderung und Frustration angesichts ihrer immerzu misslingenden Bemühungen sichtbar zu machen, aber auch der junge Jaeden Martell spielt die Rolle des pubertierenden Aidan und dessen Empfindungen gegenüber Grace - zwischen sexuellem Interesse und verzweifelter Abneigung - teilweise gespenstisch überzeugend. Die Szene, in der Grace Aidan zur Rede stellt (»Okay, du willst nicht mit mir reden, aber beobachtest mich beim Duschen«), ist so präzise gespielt, dass einem der Atem stockt.

Der US-amerikanische Filmkritiker Jordan Ruimy erkennt in »modernen Klassikern« des Horrors wie »Hereditary«, »Get Out«, »The Witch« oder »It Follows« eine Wiederbelebung des Genres. »Wer weiß«, schreibt er in seiner Review zu »The Lodge«, »vielleicht werden Filmhistoriker in zehn Jahren noch tiefere Korrelationen zwischen unseren toxischen, unsicheren Zeiten und diesem Kino des Unbehagens und des kollektiven Traumas finden, als wir heute sehen können.« Das könnte wahrscheinlicher sein, als uns lieb sein sollte.

»The Lodge«, USA/Großbritannien 2019. Regie: Veronika Franz/Severin Fiala; Darsteller: Riley Keough, Jaeden Martell, Lia McHugh, Richard Armitage. 112 Min.


https://www.neues-deutschland.de/artikel/1132612.horrorfilm-the-lodge-im-ewigen-weiss.html

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Eine positive Kritik aus Österreich, in der - wie passend - Tschechow mit auftaucht und zudem ein Hinweis auf das nächste Projekt des Regieduos in Oberösterreich. Richard, mein Angebot in Sachen Deutschunterricht besteht weiterhin! :evilgrin: Und weil wir gerade bei der Sprache sind: Ich habe gerade mächtig Spaß (im positiven Sinn, bitte nicht falsch verstehen) an den typisch österreichischen Formulierungen und Wörtern:

Zitat:
„The Lodge“: Winterlicher Hüttenhorror, fast aus Österreich

05.02.2020 um 08:12
von Andrey Arnold


Mit „The Lodge“ legt das heimische Regieduo Veronika Franz und Severin Fiala seine erste englischsprachige Arbeit vor: ein ausgesucht unbehagliches Horror-Kammerspiel.

Anton Tschechow schrieb einmal, dass ein geladenes Gewehr nichts auf der Theaterbühne verloren hat, falls keiner plant, es abzufeuern. Ein Plädoyer für effizientes Erzählen, das auch im Kino als dramaturgischer Grundsatz zur Debatte steht. Ob man ihm anhängt, ist eine Haltungsfrage. In seinen „Funny Games“ pflanzte Michael Haneke Aufnahmen eines Messers – das dann höhnisch entsorgt wird, um die Zuschauer für ihre Konventionsgier abzuwatschen. Wenn in „The Lodge“, dem neuen Film von Veronika Franz und Severin Fiala, ein Revolver hervorgekramt wird, kann man sich hingegen sicher sein, dass er früher oder später tatsächlich zum Einsatz kommt. Denn obwohl das österreichische Regieduo mit allen Kunstfilmwassern gewaschen ist, liebt es Genrekino − und steht zu dessen unverschämtem Unterhaltungsanspruch.

Das zeigte schon ihr Spielfilmdebüt „Ich seh Ich seh“ (2014). Mit heißkalter Hingabe erzählte es von einem Zwillingspaar, das die Menschlichkeit seiner Mutter anzweifelt. In hiesigen Gefilden schlug das Spannungsstück kaum Wellen. Doch eine US-Firma kaufte die Rechte, und der internationale Trailer ging viral. Erfolg und Aufmerksamkeit folgten – sogar in Österreich. Franz und Fiala wagten sich an ein englischsprachiges Projekt, das auf den ersten Blick viele Ähnlichkeiten zu „Ich seh Ich seh“ aufweist – aber ungleich ambitionierter ist. Premieren feierte „The Lodge“ letztes Jahr bei Festivals wie Sundance und dem Wiener Slash. Ab Freitag ist er regulär bei uns zu sehen.

Wer einen Hollywood-Ausverkauf befürchtet, sei hiermit entwarnt: Die hantige Handschrift des Regiegespanns ist intakt. Wieder steht ein Horrorhaus im Mittelpunkt: die titelgebende Hütte am Waldesrand. Dorthin verfrachtet ein wohlmeinender Vater (Richard Armitage) seine Kinder Aidan (Jaeden Martell, bekannt aus den neuen „Es“-Filmen) und Mia (Lia McHugh). In winterlicher Abgeschiedenheit sollen sie mit Papas neuer Flamme Grace (toll: Riley Keough) warm werden. Doch der Widerwille ist groß: Vor allem der pubertierende Bub gibt der fragilen jungen Frau die Schuld für Brüche im Familiengefüge.

Franz und Fiala nehmen von Anfang an keine Gefangenen. Unbehagen rinnt aus allen Ritzen des geräumigen, aber trotzdem beengenden Schauplatzes. Die Ausstattung (dunkle Holztäfelung, schwerer Steinkamin, Luster aus Hirschgeweih) trägt ebenso dazu bei wie feinnerviges Sounddesign, kriechende Zooms und eine subtil verfremdete Bildsprache (Kamera: Thimios Bakatakis). Zugleich ist „The Lodge“ nicht über Schockeffekte erhaben (schriller die Orgeln nie pfeifen!). Und erfreut mit exzentrischen Details: Urzeitkrebse, verstörendes Weihnachtsspielzeug, ein unheimliches Puppenhaus.

Indessen treibt die Handlung ein gefinkeltes Vexierspiel, von dem hier nicht zu viel verraten werden soll: Was ist (Alb-)Traum, was Wirklichkeit? Die Wahnspiralen vor der Kältekulisse drängen zum Vergleich mit Kubricks „Shining“. Doch Vorbild der Filmemacher waren eher Streifen wie der Psychothriller „Taste of Fear“ (1961): ein Geheimtipp aus den Schatzkammern der altgedienten britischen Horrorfilmschmiede Hammer, die „The Lodge“ mitproduziert hat.

Nicht alle Balanceakte des kühlen Kammerkollers gehen auf. Manchmal kippt seine durchdringende Atmosphäre in ästhetische Monotonie, und gegen Ende strapaziert manch eine Wendung die Glaubwürdigkeit. Doch man bleibt dabei: Auch aufgrund psychologischer Grundierung. Im Kern geht es um ein Duell der Traumata, mit Klassenklüften und (religiösem) Fanatismus als Urquell des Bösen. Christliche Symbolik wird diabolisch umgedeutet: Schneeengel, Kreuze und eine finstere Grusel-Madonna starren ominös, während Grace mit einem gehauchten Choral für Gänsehaut sorgt: „Nearer, My God, to Thee . . .“ So treffen Ösi- und US-Komplexe aufeinander!

Das Schrecklichste und Schönste an „The Lodge“? Dass er dem Grauen Verständnis entgegenbringt. Man könnte ihn sogar moralisch deuten, als Warnung vor den desaströsen Konsequenzen, die Empathiemangel in Ausnahmezuständen zeitigen kann. Doch Erlösungskatharsis gibt es hier genauso wenig wie bei Haneke: Die bittere Besinnlichkeit der Schlussnote zeugt von tiefer Traurigkeit im Herzen dieses Films.

Der nächste Wurf des Teams Franz-Fiala ist übrigens in Vorbereitung – und bringt es in doppelter Hinsicht zurück auf vertrautes Terrain. „Des Teufels Bad“ spielt im Oberösterreich des 18. Jahrhunderts und dreht sich um „Frauen, Religion und Ritualmord“. Man wird sich wohl wieder warm anziehen müssen.


https://www.diepresse.com/5763700/the-lodge-winterlicher-huttenhorror-fast-aus-osterreich

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BeitragVerfasst: 08.02.2020, 17:54 
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Hier gibt es neun von zehn Sternen: :daumen:

Zitat:
The Lodge: Kritik zum Horror-Drama des Regieduos Veronika Franz und Severin Fiala

04.02.2020 um 13:00 Uhr von Christian Horn

In "The Lodge" wird eine Familie in einem abgelegenen Ferienort eingeschneit. Zunächst verbessert dies die angespannten Beziehungen innerhalb der Familie. Das ganze droht jedoch schnell zu kippen, als seltsame Dinge passieren. Der Horrorstreifen des Regie-Duos Veronika Franz und Severin Fiala aus Österreich startet am 06. Februar in die Kinos.

Der schaurige Ich seh, Ich seh von Veronika Franz und Severin Fiala fand international Beachtung, das Folgewerk hat das Regie-Duo nun direkt auf Englisch gedreht - für die geschichtsträchtigen Hammer Studios. Erneut vereinen die Österreicher das Horror-Genre mit Kunstanspruch. The Lodge führt die Konflikte zwischen Richard, seiner Verlobten Grace und Richards Kindern behutsam, aber mit einem sinistren Grundrauschen ein. Die Kinder fremdeln mit Grace, die ihrerseits traumatisiert ist: Sie war Teil einer Sekte, deren Anhänger kollektiv Suizid begingen - nur Grace überlebte. Ein Ausflug in eine abgelegene Hütte soll die vier zusammenbringen. Doch als Richard zurück an den Schreibtisch muss und Grace mit den Kindern allein ist, häufen sich merkwürdige Vorkommnisse ...

Franz und Fiala entwerfen einen stillen, immer wieder erschreckenden Psychotrip, der das bekannte Waldhütten-Setting mit Stilbewusstsein und Charaktertiefe verbindet. Die Schockmomente sitzen, vor allem der Schluss ist nichts für schwache Nerven.

Fazit: Konzentriert in Szene gesetzter Psycho-Horror zwischen Shining und Hereditary.

The Lodge (Film) (Film)
9/10


https://www.pcgames.de/Kino-Thema-130800/Tests/The-Lodge-Veronika-Franz-Severin-Fiala-1342584/

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BeitragVerfasst: 08.02.2020, 17:58 
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Die schon fast angestaubte, ebenfalls gute Kritk vom 'Weser Kurier':

Zitat:
„The Lodge“
Patchwork-Horror in der Hütte


Mathis Raabe 27.01.2020

Das österreichische Regie-Duo Veronika Franz und Severin Fiala beschäftigt sich erneut mit Familie und Verlust. Ihren eiskalten Horrorfilm „The Lodge“ haben sie diesmal fern der Heimat gedreht.


„Ich seh Ich seh“, das gefeierte Spielfilmdebüt von Veronika Franz und Severin Fiala, entstand noch in Niederösterreich. Für den Nachfolger „The Lodge“ ging es mit englischsprachigem Drehbuch in die Einöden von Quebec. Das ist nicht überraschend: „Goodbye Mommy“, so der internationale Titel von „Ich seh Ich seh“, spielte in seiner untertitelten Version fast so viel Geld ein wie zu Hause. Das lag nicht zuletzt am Trailer, der von US-Medien zum „gruseligsten aller Zeiten“ gekürt und daraufhin zum viralen YouTube-Phänomen wurde.

Franz und Fiala interessieren sich auch in ihrem neuen Film für den Horror, der Familie und Verlust innewohnt. Sie platzieren wieder zwei Kinder und eine Mutterfigur, die nicht als Mutter akzeptiert wird, in einem abgeschiedenen Setting. Und sie zeichnen erneut kein besonders positives Bild von Kindern. Das sind in diesem Fall Mia (Lia McHugh) und Aiden (Jaeden Martell). Sie halten wenig von Grace (Riley Keough), der neuen Freundin ihres Vaters Richard (Richard Armitage), geben ihr sogar die Schuld am Selbstmord ihrer Mutter. Richard besteht trotzdem darauf, dass die werdende Patchwork-Familie die Weihnachtstage zusammen in einer einsamen Ferienhütte verbringt. Obwohl „The Lodge“ kein konventioneller Horrorfilm ist, beweist sich auch hier die alte Horrorfilm-Lehre: In einsamen Hütten passiert nichts Gutes.

In der ersten Hälfte des Films zeigt Papa Richard vielfach, wie man sich als Elternteil besser nicht verhalten sollte. Nicht nur verfehlt er oft den richtigen Ton, wenn er versucht, seine krisengebeutelte Familie ins selbe Boot zu holen, auch wählt er für den Pistolentresor einen Code, der viel zu einfach zu knacken ist. Die Tschechowsche Pistole ist aber in diesem Film eigentlich ein Trauma, und ein religiös geprägtes noch dazu - so viele Marienbildnisse und Kreuze zeigt der Film. Aber von wem geht die Bedrohung aus? Sind es die gebetseifrigen Kinder, die ihre tote Mutter rächen wollen? Ist es Grace, die als Kind einem christlichen Kult entfliehen musste? Ist es gar etwas Übernatürliches, das in der Hütte wie in einem Haunted-House-Film Dinge bewegt? Geschickt legt das Regie-Duo verschiedene Fährten.

Das Motiv der alles andere als unschuldigen Kindern zieht sich durchs bisherige Schaffen der zwei österreichischen Filmemacher, die nicht nur miteinander verwandt sind - Severin Fiala ist der Neffe des Filmemachers Ulrich Seidl, mit dem Veronika Franz verheiratet ist -, sondern schon lange eine gemeinsame Leidenschaft teilen. Fiala arbeitete einst für Franz als Babysitter. Wenn die Kinder in den Betten waren, sah er sich Horrorfilme an, und wenn dann Franz, ihrerseits Gruselkino-Fan, nach Hause kam, sahen die beiden sich gemeinsam Horrorfilme an, und heute machen sie Horrorfilme über Kinder. Sicher ist es kein Zufall, dass auch in „The Lodge“ ein Filmabend zu sehen ist, bei dem John Carpenters Klassiker „Das Ding aus einer anderen Welt“ geguckt wird.

In den fabelhaften Bildern von „The Lodge“ erkennt man die Handschrift von Thimios Bakatakis, Stamm-Kameramann von Yorgos Lanthimos („The Lobster“, „The Killing Of A Sacred Deer“). Seine Kamera dreht sich oft um sich selbst, interessiert sich besonders für Zimmerdecken und Treppenhäuser, arbeitet mit Schwenks, wo man einen Gegenschuss erwartet, und fängt einige geradezu gemäldeartige Aufnahmen der Hütte ein - sowie von einem dazu immer wieder in Relation gesetzten Puppenhaus im Kinderzimmer. Besagtes Puppenhaus hat „The Lodge“ einige nicht ganz faire Vergleiche mit Ari Asters Horror-Hit „Hereditary“ eingebracht.

Im Gegensatz zu ihrem Erstling verlassen sich Franz und Fiala für „The Lodge“ hier und da auf konventionelle Horror-Tropen - Puppenhäuser und Jump Scares etwa. Dennoch ist ihnen ein Film gelungen, der ein starkes Unbehagen aufbaut, ohne seine Bedrohung eindeutig zu benennen. Das bildstarke Finale hinterlässt wie schon bei „Ich Seh Ich seh“ noch lange nach Verlassen des Kinosaals Tumulte in der Magengrube.


https://www.weser-kurier.de/deutschland-welt/deutschland-welt-kultur_artikel,-patchworkhorror-in-der-huette-_arid,1892885.html#nfy-reload

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