Maike hat geschrieben:
Ich hab übrigens die Begeisterung für JS und die Abneigung gegen Andrew nie so ganz geteilt. Andrew ist für Carole ihr soul mate und ihr Fenster in eine andere Welt, weil er z.B. ihr Interesse an Literatur teil, was niemand in ihrer Familie tut und auch JS wahrscheinlich nie tun wird. Natürlich verhält sich Andrew feige, aber ich verstehe, warum sie ihn liebt und es ihr so schwer fällt einen Schlußstrich zu ziehen. JS ist eine sichere Wahl, nicht mehr und nicht weniger. Auf ihn kann sie sich immer verlassen (er wird auch respektieren, dass sie abends häufig Kopfschmerzen hat), aber kann sie mit ihm eine erfüllte Beziehung haben? Kann sie mit ihm überhaupt ein Gespräch führen, dass sich nicht um Schafe dreht? In Fanfictions liest man oft, wie JS in den Händen der richtigen Frau (mag das Carole oder ein anderer Charakter sein) aufblüht, sich zum zärtlichen Liebhaber entwickelt, anfängt zu lesen etc. , aber ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich so kommen würde, vor allem mit Carole, die selbst so viel Ballast mit sich herumträgt.
PS: Das ist nicht als Kritik an der Rolle zu verstehen, ich fände es toll, wenn RA noch mal ein ähnliches hässliches Entlein spielen würde!
Könnte Carol denn mit Andrew wirklich eine erfüllte Beziehung führen? Ich weiß, dass die beiden Seelenverwandte sein sollen, was durch das Motiv der gleichen Gedanken bzw. des gleichen Fühlens ausgedrückt wird (Treffen in der Ruine ohne Verabredung; Auto einer Kommilitonin leihen, um nach Hause zu fahren, in dem Moment, wo Carol ihre Flucht umsetzt, …). Allerdings verstört mich dann immer, wie wenig Andrew seine Seelenverwandte in entscheidenden Momenten versteht bzw. wie stark er nur aus seiner eigenen Perspektive heraus agiert: Er beweist wenig Vertrauen, reagiert extrem eifersüchtig, zerstört glückliche oder zumindest friedliche Momente in Carols Leben u. s. w. Das kommt zu dem einen Moment der Feigheit für mich dazu, die ich ihm aus alterstechnischen Gründen im Zusammenhang mit der geplanten Hochzeit allein nicht ankreiden würde. Auch sein Verhalten gegenüber seiner Ehefrau, die mir von allen übrigens am meisten leid tut, weil sie gar nicht weiß und versteht, in welches Minenfeld sie herein geraten ist, finde ich höchst fragwürdig.
Hinzu kommt, dass häufiger als die Seelenverwandtschaft die Unterschiede hervorgehoben werden, so dass sie vielmehr als sich ergänzende Antagonisten erscheinen. Ihre Anziehung beruht nicht unerheblich darauf, dass jeder für den anderen etwas repräsentiert, was faszinierend, ein Wunschtraum und eine gewünschte, nicht vorhandene bzw. nur schwach ausgeprägte Seite des eigenen Selbst ist. Das ist das, was Du mit Fenster in eine andere Welt meinst. Die Frage ist aber, ob man das Fenster gemeinsam und dauerhaft offen halten kann.
Irgendwie stehen sich sozusagen „gleich und gleich gesellt sich gern“ und „Gegensätze ziehen sich an“ als Beziehungskonzepte gegenüber. Und ich glaube nicht, dass der Film eine eindeutige Entscheidung zugunsten eines Modells fällt: Mit Andrew kann Carol vielleicht bessere Gespräche über Literatur führen, aber kann sie mit ihm auch mal über die Farm und Schafe reden, ohne dass er genervt ist? Und unproblematisch sind sexuelle Beziehungen für Carol sowieso nicht? (Statistisch gesehen hat in der Realität übrigens das „gleich und gleich …“ bessere Chancen.)
Und wenn wir Carol zutrauen, dass sie sich mit Hilfe von Andrew neue Welten eröffnet, dann sollten wir das auch John zutrauen, denn er ist ja nicht geistig behindert, oder? Zudem scheint seine emotionale und soziale Kompetenz weit größer als die von Carol und Andrew, die vielleicht damit dann doch Seelenverwandte sind.
Übrigens sind wir uns darin einig, dass es eine tolle Rolle für RA war, die er ganz großartig umgesetzt hat. Wir sehen nur den Film unterschiedlich und das ist doch gut so. Wie einsinnig, platt und langweilig ist ein Buch oder ein Film, wenn es/ihn alle gleich verstehen?