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BeitragVerfasst: 15.07.2022, 22:19 
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Uhtred's warrior maiden
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Ob das jetzt wirklich in diesen Thread passt?
:scratch:

In einer wissenschaftlichen Publikation aus dem Jahr 2016 befasst sich ein Artikel u.a. recht ausführlich mit Richard und seiner Thorin-Rolle im Hobbit.
Daneben noch interessant: Auch die verschiedenen Rochesters in Jane-Eyre-Verfilmungen sind Thema.

Quelle: Physiognomisches Schreiben :
Stilistik, Rhetorik und Poetik einer gestaltdeutenden Kulturtechnik. Hrsg. Von Hans-Georg von Arlt... Baden-Baden 2016
https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/9 ... -schreiben

ISBN print: 978-3-96821-553-2
ISBN online: 978-3-96821-661-4
Rombach Wissenschaft, Baden-Baden
https://doi.org/10.5771/9783968216614

Darin: Keitz, Ursula von: Physiognomische Prämissen des Castings in der Filmproduktion, Seite 265-290
doi.org/10.5771/9783968216614-265

https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/9 ... ion?page=1

Zitat:

Physiognomische Prämissen des Castings in der Filmproduktion
Für Noll Brinckmann

»Some people come across as sad (a naturally turned down mouth); others as cheerful (a naturally upturned mouth); as sensuous (a wide wide mouth with pouting lips); as serious (thin lips) etc.«1 So lautet die ebenso nüchterne wie ernüchternde Bilanz des britischen Regisseurs Patrick Tucker, der sich ebenso kritisch wie konstruktiv mit der weit verbreiteten, typologisch verfahrenden Besetzungspraxis in der Filmproduktion auseinandersetzt. Die Analyse der Besetzung von Filmfiguren, die Rekonstruktion von Entscheidungen im Verlauf von Castingprozessen und der Vergleich von verschiedenen Verkörperungen ein- und derselben Figur bei mehrfach verfilmten literarischen Stoffen bergen je für sich Potentiale, die, so meine These, eine besondere Affinität zum Komplex der Physiognomik aufweisen. Inwieweit, so wird zunächst zu fragen sein, führt das Filmcasting eine von Stereotypen geprägte Zuschreibungspraxis fort, die aus dem konkreten Erscheinungsbild eines Gesichtes nicht nur die jeweilige emotionale Gestimmtheit der Person ableitet (Pathognomik), sondern, allgemeiner, aus Merkmalen des Gesichts, der Gestalt und der Proportionen seiner Teile allgemeine Charaktereigenschaften der Person abstrahiert (Physiognomik)? Diese Praxis in Castingprozessen mit einem methodologisch gesicherten Verfahren zu untersuchen, erforderte eine aufgrund von teilnehmender Beobachtung und Interviews zu erstellende Diskursanalyse charakteristischer Modi der Entscheidungsfindung bei der Besetzung von Filmrollen, was nur im Rahmen einer längerfristigen Studie geleistet werden könnte. Mein Beitrag versteht sich als vorläufiger skizzenhafter Problemaufriss zu diesem Feld. Vom gedrehten Material ausgehend, sollen zudem in einer kleinen Fallstudie die aus filmästhetischer Perspektive zu bedenkenden Faktoren anhand der Besetzung der Figur des Edward Rochester in den drei jüngsten Film-/ TV-Adaptionen von Charlotte Brontës Roman Jane Eyre diskutiert werden.


1 Patrick Tucker: Secrets of Screen Acting (1994), 2. Aufl., New York/London 2003, S. 84
.


Diese Gruppe von Adaptionen bietet sich auch insofern gut an, als in ihrem als autobiografische Ich-Erzählung ausgewiesenen Prätext physiognomisches ›Wissen‹ nicht nur als Orientierungswissen, auf das sich die Hauptfigur stützt, eine wesentliche Rolle spielt; es wird als soziale Praxis in der dargestellten Welt auch reflexiv und dadurch problematisiert. Das Schließen von der äußeren Gestalt und den Gesichtszügen einer Figur auf deren Charakter ist in Jane Eyre in einen physiognomischen Diskurs eingebettet, der sich von der wertenden Verknüpfung – körperliche Schönheit geht einher mit einem guten Charakter, körperliche Hässlichkeit hingegen mit einem schlechten – entschieden löst. Der Roman gibt stattdessen einem ›neuen Sehen‹ von Körperverhältnissen Raum und identifiziert dieses Sehen als ein spezifisch weibliches.

1. Die Arbeit der Besetzung: Vom ›inneren Bild‹ zum ›gefundenen Körper‹ Castingprozesse setzen beim Drehbuch an. Je nachdem wie explizit ›ausgeschrieben‹ eine Figur auch im Hinblick auf ihre äußere Erscheinung ist, lenkt der Text die Vorstellung der Filmschaffenden mehr oder weniger stark. Es bilden sich, wie bei jedem Leseakt, innere Vorstellungsbilder darüber aus, auf welche mögliche Körperlichkeit die in einem Satz von Merkmalen erfasste und durch ihr Handeln konturierte Figur referiert. Aus dem Genre, dem sich der zu drehende Film ferner zuordnet, resultieren weitere Anforderungen, welchen die für eine Besetzung in Frage kommenden Schauspielerinnen und Schauspieler genügen müssen. Die zunächst (und bis zum Vorsprechen) um eine Gruppe von Darstellern kreisenden Vorstellungen gilt es im Besetzungsprozess so weit einzugrenzen, bis die Person gefunden ist, die für die zu vergebende Rolle als richtige identifiziert wurde. Der so ›gefundene Körper‹ ist damit Ergebnis einer sich immer mehr verfeinernden Wahl aus möglichen Darstellern. In der Filmkritik finden sich vereinzelt Überlegungen darüber, was gewesen wäre, wenn Schauspielerin oder Schauspieler X und nicht Y die Hauptfigur Z in einem kanonisierten Filmwerk gespielt hätte.2 Solche – letztlich müßigen – Spekulationen weisen der Besetzung zu Recht eine eminente Rolle zu,

2 Vgl. etwa Linda Rosenkrantz: The role that got away, in: Film Comment 14/1 (1978), S. 42–48. Gleichwohl ist es reizvoll, sich vorzustellen, wie Cary Grant anstelle des besetzten James Mason die männliche Hauptfigur Norman Maine in George Cukors A Star is Born (USA 1954) gespielt hätte. Vgl. die Liste in Rosenkrantz’ Artikel, S. 48. /i]https://doi.org/10.5771/9783968216614-265, am 17.07.2020, 14:49:26 Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb

denn nicht nur das gesamte körperliche Erscheinungsbild einer Darstellerin oder eines Darstellers ist im Film relevant, auch ihre oder seine Stimme und deren intonatorische Variationsbreite prägen die Gestaltung einer Figur. Bleiben wir zunächst bei der Stimme: Abgesehen von der Fähigkeit, Dialekte oder sprachliche Färbungen authentisch sprechen und nuancieren zu können, ist vor allem die Stimmhöhe einer Schauspielerin oder eines Schauspielers von Bedeutung für eine Besetzung.3 So äußerte sich, um ein aktuelles Beispiel zu nennen, der britische Schauspieler Richard Armitage, der über eine markante Sprech- und Singstimme in der Baritonlage verfügt, in einem Interview zu seiner Gestaltung der Figurenstimme von Thorin Oakenshield, dem exilierten, heroischen Thronanwärter des Zwergenreichs Erebor in Peter Jacksons Hobbit-Trilogie (NZ/GB/USA 2013–2015): »I just wanted it to sound like that kind of character that could command an army over a battlefield. It’s a specific sound that I was looking for.«4 Diese um zwei Halbtöne abgesenkte Stimmlage artifiziell herzustellen und sie durch die Trilogie hindurch zu tragen, bedeutete eine große Anstrengung. Obwohl Stimme, Alter und Statur von Schauspielerinnen und Schauspielern zentrale besetzungsrelevante Faktoren sind, kommt dem Gesicht aufgrund der Häufung dramaturgisch exponierter Großaufnahmen in der visuellen Auflösung des Films eine elementare Rolle zu. Die Mimik, die seit der Aufklärung in Schauspieltheorien eine prominente Position einnimmt,5 ist für das Verständnis der Figurenemotionen, für das Entstehen von Sympathie, Antipathie oder Empathie im kommunikativen Spiel der Übertragung von Emotionen zwischen Figur und Zuschauer zentral.6 Im Film- und Fernsehschauspiel treten allerdings Faktoren hinzu, die traditionelle, für das Bühnenschauspiel entwickelte physiognomische bzw. pathognomische Deutungsmuster nicht problematisieren. Nicht nur die Maske, sondern vor allem auch die Lichtsetzung bilden neben Kameraoptik (Brennweiten) und Perspektivierung wirkungsvolle optionale Parameter der sich im Zeitfluss des Films

[i]3 Vgl. zur Stimmlichkeit und zum Begriff einer ›Bram Stoker’s Dracula (USA der Hörwelt‹ Ursula von Keitz: Laut(er) Flächen. Stimme und Apparat im Frühen Tonfilm, in: Mehr als Schein. Oberflächenphänomene in Film, Kunst, Literatur und Theater, hg. von Hans-Georg von Arburg u.a., Zürich/Berlin 2008, S. 187–200. 4 Interview mit Richard Armitage (und Lee Pace) zu The Hobbit. The Battle of the five Armies (2014), zit. nach: http://www.youtube.com/watch?v=NdwCLzHMnIs (18. März 2016). 5 Vgl. Alexander Košenina: Anthropologie und Schauspielkunst. Studien zur »eloquentia corporis« im 18. Jahrhundert, Tübingen 1995. 6 Vgl. Philipp Brunner: Augenblicke des Gefühls. Gesichter in Großaufnahme, in: HansGeorg von Arburg u.a. (Hg.): Mehr als Schein, S. 201–217
.

stetig wandelnden cinematischen Kommunikation der Zuschauer mit dem Figuren- bzw. Schauspielergesicht. Sie beeinflussen die Interpretation von Charakteren entscheidend mit, was Jacques Aumont zu der provokativen Behauptung veranlasst hat, dass Großaufnahmen zwar nach wie vor dramaturgisch bedeutsam seien, sich aber weniger für »das dargestellte Gesicht als für die Darstellung selbst« interessieren würden.7 Aumont, dessen Befund sich auf einen historischen Wandel in der filmischen Gesichtsdarstellung stützt, verkennt meines Erachtens hier allerdings, dass das gefilmte Gesicht in der Einstellung nie für sich allein stand und steht, sondern immer im Kontext des kadrierten Bildraums gesehen wurde und wird. Das Licht definiert die Bedingungen seines Erscheinens, es gibt ihm seine Helligkeits- und Schattenwirkungen, die ihrerseits das mimische Spiel unterstreichen und das Gesicht überhaupt erst als Filmgesicht konstituieren.

[size=85]Abb. 1 und 2: Richard Armitage als Thorin Oakenshield in The Hobbit: The Desolation of Smaug (NZ/GB/USA 2014, R.: Peter Jackson)8 und in einem Interview während der Promotion-Tour zu The Desolation of Smaug9[size]

Die Maske kann zudem die Grundspannung der Gesichtsmuskulatur als dem »mimischen Gelände«10 des Antlitzes und seiner Beweglichkeit überdecken, Proportionen z.B. von Stirn und Nase verändern,11 die Schattenwirkungen von Falten manipulieren etc. Gleichwohl folgt bei den Hauptrollen

[size=85]7 Ebd., S. 203. 8 Screenshot aus der DVD des Films. 9 Screenshot aus dem Interview mit Richard Armitage (2013), veröffentlicht auf : www. youtube.com/watch?v=20zfm7xRPBI (20. Februar 2016). 10 Claudia Schmölders: Das Vorurteil im Leibe. Eine Einführung in die Physiognomik, 3. Aufl., Berlin 2007, S. 135. 11 Vgl. die Maske von Nicole Kidman als Virginia Woolf in The Hours (Regie: Stephen Daldry, GB 2002).[\size]

das Maskenbild (zumal im Horror- oder Fantasy-Genre) tendenziell dem Prinzip, das reale Gesicht des Schauspielers ›hinter‹ dem Gesicht seiner Figur noch transparent bleiben zu lassen. Dies ist sowohl bei Gary Oldman in Francis Ford Coppolas Bram Stoker’s Dracula (USA 1995) der Fall als auch bei Richard Armitage in The Hobbit, um nur zwei prominente Beispiele zu nennen.12 2. Casting-Konventionen Nach welchen impliziten oder auch expliziten Normen verlaufen Auswahlprozesse zur Besetzung von Rollen beim Film und in welchem Maße sind diese Auswahlprozesse durch bewusst oder unbewusst angewandte, auf dem ›unsicheren Wissen‹ der Physiognomik beruhende Spekulationen der Filmakteure grundiert? – Als alltägliches Medienhandeln hat das Casting das Verhältnis zwischen tradierten Stereotypen über den Konnex von körperlicher Erscheinung und Charakter einerseits und andererseits Versuchen, sich bei der Rollenvergabe von diesen Stereotypen abzusetzen, auszubalancieren. Besetzungspraktiken bei Film und Fernsehen sind häufig vom Wissen um die bis dahin von den Schauspielern verkörperten Rollen und ihre damit eng verbundenen öffentlichen Images geprägt. Im entscheidenden Schritt zur Realisation eines bis zu diesem Zeitpunkt ›nur auf dem Papier existierenden‹ Films greifen Vorstellungen bei den Verantwortlichen, die zwischen lektüregeleiteter Phantasie und gegebenenfalls schon im Vorfeld des Castings existierenden Besetzungsvorstellungen changieren. Im Starkino herrscht zudem die Praxis des Umschreibens und der Anpassung einer Figur, sollte das Skript Dialoge oder Handlungselemente enthalten, die nicht mit dem Image des besetzten Schauspielers kompatibel erscheinen. So schrieb etwa Hans Jacoby für Heinz Rühmann Passagen von Friedrich Dürrenmatts Drehbuch zu Es geschah am helllichten Tag (Regie: Ladislaus Vajda, CH/BRD/E 1958) um, indem er sie abschwächte, da sich im Original Handlungsweisen und Dialoge der Hauptfigur Kommissär Matthäi fanden, die Rühmann so nicht 12 Armitage sagte über seine faciale Verwandlung zu Thorin, für die er an jedem Drehtag ca. zweieinhalb Stunden in der Maske sitzen musste, dass sie ihm trotz der aufwendigen Stirn- und Nasenprothese die Möglichkeit bot, seine Augenbrauen zu bewegen und damit auch ein wandlungsfähiges, kontrollierbares Augenspiel zu performieren. Sein Bart war ebenfalls ›echt‹. Die Vorentwürfe zu Thorins facialem Erscheinen waren ungleich verfremdender (und ließen die Figur auch deutlich älter erscheinen) als diejenige Maske, die schließlich für den Dreh verwendet wurde. ...


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Verfasst: 15.07.2022, 22:19 


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BeitragVerfasst: 16.07.2022, 12:34 
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Mill overseer & MM ambassador
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Registriert: 02.05.2006, 10:58
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Interessant. :daumen:

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No, I can't, really... (MMs Antwort auf eine "freche" Frage von mir...)


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BeitragVerfasst: 16.07.2022, 14:32 
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Uhtred's warrior maiden
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Registriert: 29.03.2012, 21:46
Beiträge: 18400
doris-anglophil hat geschrieben:
Interessant. :daumen:


Ich finde die ganze Abhandlung auch sehr interessant!

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BeitragVerfasst: 16.07.2022, 16:12 
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Favourite madam of John T.
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Sehr interessant so ein Blick dahinter :daumen:.

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No one knows what you are for me.

Thanks to Jessie for these amazing SIG


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BeitragVerfasst: 17.07.2022, 20:31 
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Mill overseer & Head of the Berlin Station
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Ich finde, der Artikel passt hierher. Wirklich spannend! Danke, Arianna. :kuss:

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Danke, liebe Boardengel, für Eure privaten Schnappschüsse. :kuss:


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