Kritik „Perfect Nonsense - Jeeves & Wooster“, gesehen am 18./19. Oktober 2013 im Royal Theatre Richmond
Des besseren Verständnisses wegen gebe ich eine Personenübersicht und sage dazu, von welchem Schauspieler diese Rollen gespielt wurden. Im Buch von P.G. Wodehouse „The Code of the Woosters“, auf dem „Perfect Nonsense“ basiert, gibt es ja viele Personen, u.a. auch Damen, die im Stück allesamt von zwei Männern dargestellt werden.
Einzig und allein Bertie Wooster ist und bleibt stets er selbst.
Bertie Wooster - Stephen Mangan
Jeeves, sein Butler - Matthew Macfadyen, der wiederum als Jeeves folgende weitere Personen spielt: Sir Watkyns Bassett, Madeline Bassett, Augustus „Gussie“ Fink-Nottle und Stephanie “Stiffy” Byng
Seppings, Butler von Berties Tante Dahlia – Mark Hadfield, der wiederum als Seppings in folgende Rollen schlüpft: Tante Dahlia, Antiquitätenhändler, Sir Roderick Spode, Butler Butterfield und Constable Oates
Nur erwähnt, aber nicht dargestellt werden die Personen Tom Travers (Ehemann von Tante Dahlia), Harold Pinker und Küchenchef Anatole.
Der Ansatz ist allein schon aus diesem Grund – zwei „Butler“ spielen so gut wie alle Rollen – ungewöhnlich, denn man erwartete ja zunächst eine mehr naturalistische Umsetzung. Durch den genialen Einfall des Regisseurs Sean Foley verlässt man aber diese Ebene komplett und gerät vollends ins Komödiantische. Vielleicht ist dies etwas, dass der Autor nicht oder nur wenig beabsichtigt hatte, weswegen man der Produktion eine gewisse Verfremdung des Stoffes vorwerfen könnte. Das ist aber auch schon das einzig Negative, was vor allem Wodehouse-Puristen möglicherweise an der Adaption auszusetzen haben könnten. Es gibt dann noch ein paar Kleinigkeiten in der Inszenierung selbst zu bemängeln; dazu später mehr.
Alles in allem ist das Stück eine große Herausforderung: An die Darsteller, die allesamt eine große, vor allem physische, Leistung vollbringen, an die Licht-, Ton- und Bühnentechnik, die alles auf den Bruchteil einer Sekunde auf Stichworte oder Gesten abstimmen müssen und auf die Garderobieren bzw. die Backstage-Assistenten, die für sekundenschnelle Kleiderwechsel alles parat haben müssen. Das darf als mehr als gelungen betrachtet werden, mit einer Ausnahme: Die Anforderungen für die technischen Gegebenheiten einer Drehbühne machten eine Erhöhung des Bühnenniveaus erforderlich, weswegen Zuschauer in den vorderen Reihen, durchaus teure Plätze, erstens Genickstarre bekommen und zweitens von den Akteuren allenfalls zwei Drittel sehen (wenn man Glück hat, von den Knien an aufwärts). Gut, man wurde mit Freikarten fürs Duke of York’s entschädigt, muss diese aber bis zum 30. November in Anspruch genommen haben, was bei einem Auswärtigen so gut wie unmöglich ist. Immerhin wurden wir – als Ersatz für die Freikarten, die nutzlos für uns waren - dann für den zweiten Akt umplatziert und sahen fortan das Geschehen auf der Bühne etwas besser. Am zweiten Tag haben wir das Stück vom Upper Circle aus gesehen, was von der Sicht wesentlich vorteilhafter war.
Wir begegnen zu Beginn einem Bertie Wooster, der sich auf einer spärlich ausgestatteten Theaterbühne befindet und sich redlich müht, den Zuschauern eine Geschichte zu erzählen, indem er zwischen zwei Rollen hin und her springt. Dies läuft natürlich dann aus dem Ruder, als in seiner Erzählung mehr handelnde Personen hinzukommen. Er bittet daher seinen Butler Jeeves, Rollen zu übernehmen, was dieser mit seiner halb devoten, halb überlegenen Art natürlich tut. Nicht nur das, er heuert auch seinen Kollegen Seppings an, weitere Personen zu spielen, attestiert diesem ein gewisses Talent beim Nachahmen von Leuten, und zimmert so zwischendurch ein paar passende Kulissen für Bertie Woosters „Stück“, damit dies besser präsentiert werden kann. Bertie ist platt vor Staunen und kommt selbst kaum noch seiner eigenen Erzählung hinterher. Im Lauf des Abends werden die Kulissen dann immer ausgefeilter, raffinierter und authentischer.
Man überschlägt sich förmlich mit Slapstick, raschen (rasch ist gar kein Ausdruck!) Rollen- und Kostümwechseln,
und tollen Einfällen, wie der Autofahrt von Jeeves und Wooster nach Totleigh Towers.
Die Sprache
ist für Geübte durchweg gut verständlich, was vor allem der hervorragenden Ausbildung der drei Schauspieler, allesamt RADA Absolventen, zu verdanken ist. Bei MM wird es u.U. schwierig, wenn er Sir Watkyn Bassett spielt, weil er dabei einen künstlichen Schnauzer und eine Pfeife im Mund trägt. Das geht ein wenig zu Lasten der Verständlichkeit, wofür MM aber absolut nichts kann. Er ist sehr bemüht, dieses Manko auszugleichen. Man muss das Buch nicht zwingend gelesen haben, um der Handlung folgen zu können, es mag aber hilfreich sein, um die einzelnen Person schneller erkennen und zuordnen zu können.
Meine persönlichen Highlights: die „Slow-Motion-Szene“ im Antiquitätenladen – fantastisch gemacht von allen drei Darstellern; MM (als Jeeves, der eigentlich gerade Sir Watkyn Bassett darstellt) wie er überraschend Madeline Bassett spielen muss und dies tut, indem er sich einen Lampenschirm aufsetzt, einen Vorhang am Fenster herunterreißt und ihn sich als Kleid umwickelt; die Beinahe-Kuss-Szene zwischen Madeline Bassett (MM) und Bertie Wooster; MM als Stiffy Byng (im lila Kleid, mit weißen, lila verzierten „Schühchen“ Größe 48,5!!!); MM als Doofkopp und Blindfisch Gussie Fink-Nottle und schlussendlich der (Stoff)Hund, der ganz Fangirlie-like in Ohnmacht fällt, als MM (als Jeeves) in Bertie Woosters Zimmer kommt. Wer an dieser Stelle lachte, outete sich glatt als MM-Insider!
Die Höchstschwierigkeit an Schauspiel-Kunst im Comedy-Fach liefert dann auch MM: doppelt eingekleidet (rechte Hälfte als Sir Watkyn Bassett, linke Hälfte als Stiffy Byng), sich in Sekundenschnelle drehend und beide Rollen gleichzeitig spielend!
Vermeintlich leicht hat es Stephen Mangan als Bertie Wooster, der halt immer nur in dieser Rolle bleibt, aber er spielt diese Figur mit so viel Leben, Energie und Fülle, dass es ihm ein Leichtes ist, die Herzen der Zuschauer zu erobern. Stephen Mangan ist für mich die Entdeckung schlechthin und ich verneige mich respektvoll vor seiner großartigen Leistung. Im Prinzip gilt Gleiches für Mark Hadfield, der mit einem unglaublichen komödiantischen Talent und Sinn für Timing seine Rollen ausfüllt. Hier ist eine wirklich fantastische Besetzung zusammengekommen.
Das Stück ist temporeich, es lebt von schnellen Wechseln in jeder nur erdenklichen Hinsicht, von Gags und Slapstick, von ein klein wenig Improvisation, vom sicheren Gespür der Goodale Brüder, die das Wodehouse Buch entsprechend umgearbeitet haben und von der durchdachten Inszenierung von Regisseur Sean Foley; vor allem aber lebt es von der erstklassigen Handwerkskunst der drei Schauspieler!
Nicht gefallen
hat mir, dass in dieser Inszenierung die Figur des Roderick Spode einfach zu dick aufgetragen wurde. Natürlich weiß ich, dass man den „faschistischen Diktator“ als enorm große Person darstellen muss, der Bertie bei jedem Aufeinandertreffen immer größer und größer vorkommt, aber auf die hier dargestellte Art und Weise war es dann irgendwann nur noch abgedroschen und total vorhersehbar, was schade war.
Vor allem deswegen musste Mark Hadfield aufpassen, dass er nicht zu sehr überzog, übertrieb und dadurch ins gefürchtete „over-acting“ verfiel. Auch MM (vor allem als Sir Watkyn Bassett) schrammte daran einige Male gerade so vorbei, aber er kriegte dann immer gerade noch so die Kurve.
Und mit der Reitgerte von Sir Watkyn hätte man MM durchaus noch etwas mehr tun lassen können, das Teil wurde nur halbherzig genutzt, fast schien es, als wäre es ein Fremdkörper für MM.
Die Original-Handlung von Wodehouse wurde bestens in diese Inszenierung eingebunden. Es geht um die herrische Tante Dahlia, die ihren netten, aber etwas vertrottelten Neffen Bertie mit sanfter Erpressung dazu bringt, einem Stück Silber (dem "cow-creamer") nachzujagen, wobei dieser zusätzlich in das Hin und Her zwischen seinem Freund Gussie, dessen Verlobten Madeline und deren Cousine Stiffy gerät. Jeeves allein behält den Über- und Durchblick und so hat Bertie es letztlich ihm zu verdanken, dass sich die Dinge in Wohlgefallen auflösen.
Die Freitagsabends-Vorstellung ging sehr gut über die Bühne, am Samstagmittag hing sich dann ein Kulissenvorhang (Vordergrund von Totleigh Towers) auf, ein Teilstück der Bühnentechnik fiel seitlich herab, was nicht hätte fallen sollen, Bertie konnte nicht gleich sein Streichholz am „Torpfosten“ von Totleigh Towers entzünden, außerdem bekam er erst nicht das Bett-Tuch mit Gussie dran zu fassen, und weitere kleine Patzer. Außerdem versprach sich Stephen Mangan einige Male, einmal dann sogar so offensichtlich, dass MM (als Jeeves) die Contenance nicht mehr wahren konnte und loslachen musste.
Kleines Plus zum Schluss: Nach dem pflichtgemäßen Abarbeiten der Applausordnung gibt es noch ein „Tänzchen“ der drei hervorragenden Herren als Zuckerl obendrauf!
Auf alle Fälle ist das Stück sein teures Geld wert. Die drei Männer liefern eine mehr als beeindruckende Show ab und es einfach nur unterhaltsam zu nennen, wäre reichlich untertrieben. Es ist wirklich mehr als das – es ist ein grandioses Erlebnis für sich! Wer's nicht sehen kann, verpasst echt was.