Vor ein paar Tagen habe ich mir die Kindle-Version der deutsche Übersetzung besorgt. Ich habe das Original zwar schon gelesen/verschlungen, war aber mal gespannt, wo ich dann vielleicht doch etwas falsch verstanden/anders ausgelegt hatte. Außerdem habe ich einer Freundin das Buch empfohlen. Da sie jedoch kaum bis gar nicht Englisch kann (es reicht halt für den Urlaub, aber nicht für ein Buch von 1855), wollte ich schauen, ob das nächste Geburtstagsgeschenk für sie mit dieser Übersetzung gesichert ist.
Ich habe nicht Wort für Wort, Satz für Satz verglichen (befinde mich momentan in Kapitel 24). Wer das tut, wird sicherlich Unebenheiten finden. Alles in allem geht die Übersetzung in meinen Augen aber in Ordnung. Hier und da ein paar Stirnrunzler (man meint ja eh immer, daß man für diesen und jenen Satz einer natürlich VIEL BESSERE Version hätte), aber so etwas bleibt selten aus. Ich hatte ein wenig Befürchtungen in Bezug auf die "Arbeitersprache" von Higgins und Co. und so richtig gelungen finde ich es nicht, aber da ich kein Übersetzer bin, kann ich nicht beurteilen, vor welchen Herausforderungen man steht, wenn man sowas übersetzen muss:
'I know nought of your ways down South. I have heerd they're a pack of spiritless, down-trodden men; welly clemmed to death; too much dazed wi clemming to know when they're put upon. Now, it's not so here. We known when we're put upon; and we'en too much blood in us to stand it. We just take our hands fro' our looms, and say, "Yo may clem us, but yo'll not put upon us, my masters!" And be danged to 'em, they shan't this time!' (Nicholas Higgins; Kapitel 17)
Christina Neth macht daraus: "Ich weiß nix über Ihre Sitten drunten im Süden. Ich hab sagen hör'n, das wär' ein Haufen mutloser, geknechteter Männer; kurz vorm Verhungern; zu sehr vom Hunger benebelt, um zu wissen, wann man sie ausnutzt. Hier is' es nun nich' so. Wir merken's, wenn man uns ausnutzt; und wir h'm zu viel Mumm in uns, um das mit uns machen zu lassen. Wir nehmen einfach die Hände von den Webstühlen und sagen: 'Ihr könnt uns hungern lassen, aber ihr werdet uns nich' ausnutzen, ihr Herren!' Und verflixt noch mal: diesmal werden sie's auch nich'!"
Es muss jeder für sich entscheiden, ob er es mag oder nicht. Ich finde es nicht ideal, aber beim Lesen hat es mich nicht wirklich gestört. Habe allerdings auch nicht die ganze Zeit das Original im Hinterkopf. Wer Wert auf Authensität legt, kommt um das Lesen eines Originals eh nie herum.
Richtig grobe Schnitzer konnte ich nicht entdecken, aber wie gesagt, ich habe auch nicht akribisch verglichen. Für mich muss eine Übersetzung in erster Linie erstmal flüssig sein und weitestgehend das richtige Gefühl widerspiegeln. Das tut es durchaus. Die Übersetzerin hat auch nicht (Gott sei Dank) versucht, das Buch übermässig modern zu machen (wie es Herr Krege mit seiner "Herr der Ringe"-Übersetzung auf so schreckliche Weise getan hatte), sich jedoch auch nicht auf Biegen und Brechen darauf versteift, deutsche Pendants zu allzu geschwollenen englischen Ausdrucksweisen jener Zeit, zu finden.
Allgemein kann man sagen: Für wen es nur die zwei Möglichkeiten 1) gar nicht (aus welchen Gründen auch immer) oder 2) die deutsche Übesetzung lesen, gibt, dem empfehle ich definitiv Möglichkeit 2) Selbst die 30 Euro gehen dann in Ordnung, außer man möchte doch warten, ob es zu diesem On Demand-Buch aufgrund von Erfolg noch ein TB geben wird. Vielleicht legt auch die ein oder andere Stadtbibliothek sich diese Ausgabe zu (oder man regt es mal an).
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