In den letzten Tagen sind einige Zeitungsartikel zu 'My Zoe' und Interviews mit Julie Delpy erschienen:
Zitat:
Julie Delpy über ihren Film „My Zoe“„Was, wenn Klonen gar nicht so schrecklich wäre?“
Moderation: Susanne Burg
Julie Delpy hat ihren neuen Film „My Zoe“ fast im Alleingang realisiert: Von ihr ist das Drehbuch, sie hat Regie geführt und spielt auch noch die Hauptrolle. Das Eltern-Drama mit Richard Armitage und Daniel Brühl lotet ethische Grenzbereiche aus.
Susanne Burg: Filmemachen ist ein kollaborativer Prozess, als Regisseurin oder Schauspielerin hat man immer viele Leute um sich herum. Drehbuchschreiben dagegen ist eher eine einsame Tätigkeit.
Julie Delpy: Wenn man alleine schreibt, ja. Aber ich habe auch schon Drehbücher mit Freunden zusammen geschrieben und war bei einigen Co-Autorin, und dann wird das zu einer Art Party.
Schreiben als emotionale Reise
Burg: Das wollte ich grade fragen: Sie haben mit Richard Linklater angefangen zu schreiben, und dann haben Sie angefangen Regie zu führen …
Delpy: Ich habe schon lange vor der Arbeit mit Richard Linklater geschrieben. Mein erstes Drehbuch habe ich mit 15 verfasst. Aber es stimmt, mein Schreiben, aus dem dann wirklich ein Film geworden ist, begann mit „Before Sunrise“. Da habe ich mit Ethan Hawke das Skript geschrieben – was übrigens damals nirgends erwähnt worden ist. Unsere Namen erschienen nicht im Abspann, obwohl wir den größten Teil geschrieben hatten. Aber egal, ich würde sagen, es kommt auf das jeweilige Drehbuch an. Wenn man alleine schreibt, ist das eine emotionale Reise, man geht in sich, wenn man mit anderen zusammen schreibt, dann geht man aus sich heraus, also irgendwie der entgegengesetzte Prozess.
Burg: Wie hat es bei diesem Drehbuch zu „My Zoe“ funktioniert? Erste Ideen hatten Sie ja wohl schon vor längerer Zeit. Wie haben Sie an diesem Skript gearbeitet und wie hat es sich im Laufe der Zeit entwickelt?
Delpy: Vor 25 Jahren hatte ich eine vage Idee davon, was ich tun wollte. Ich wollte etwas schreiben, aber das war nicht wirklich das, was jetzt herausgekommen ist. Es ging um Schicksal und wie man dagegen angeht. Es war nur ein Konzept. Dann habe ich meinen Sohn bekommen und die Vorstellung davon, was es bedeutet, Mutter zu sein, wurde zur Realität. Die Sorge, die sich mit dem Elternsein einstellt, war ebenfalls Teil davon, die Angst der Eltern darüber, wie einzigartig und zerbrechlich so ein Kind ist.
Menschen, die sich bis aufs Blut bekämpfen
Burg: Im ersten Teil des Films geht es um zwei getrennte Eltern, die nach einem Weg suchen, mit ihrem gemeinsamen Kind Zoe umzugehen. Sie schwanken dazwischen, über Anwälte zu kommunizieren oder es einfach alleine zu versuchen miteinander klarzukommen. Die beiden kennen sich sehr gut, wissen, wie sie den anderen verletzen, wie sie ihn unter Druck setzen und wie sie ihre Macht zeigen können. Weil wir grade über den Schreibprozess gesprochen haben – wie schwierig ist es, diese Szenen zu schreiben, wo Menschen sich bekämpfen, wo man sieht, dass sie eine gemeinsame Geschichte haben, die aber nicht erzählt wird?
Delpy: Dafür muss man sich innerlich an diesen Ort begeben. Menschen sind manchmal so grausam, wenn sie sich trennen. Dazu kommen die verletzten Egos. Statt sich darauf zu konzentrieren, die Umstände zu verbessern, wollen sie manchmal alles irgendwie noch schlechter machen. Da sieht man dann die hässliche Seite der Menschen.
Vor dieser hässlichen Seite wollte ich nicht zurückschrecken. Ich wollte die beiden Eltern nicht niedlich erscheinen lassen. Manchmal vergessen sie beinahe das Kind, weil sie so wütend aufeinander sind. Deshalb gibt es diese Szene, in der sie sich streiten, nachdem Zoe bereits im Krankenhaus ist, als sie noch nicht wissen, wie schlecht es ihr eigentlich geht.
Ich habe sie da so grausam werden lassen, weil ich zeigen wollte, wie ihre Wut aufeinander sie fast vergessen lässt, was wirklich wichtig ist. Es ist interessant, wie selten man das in Filmen sieht. Da lassen sich dann Leute scheiden, aber es ist immer so, als wären sie einander ja noch so wichtig und nur die Anwälte sind böse. Ganz rührend und herzig im Vergleich zu dem, was ich sonst erlebt habe – diese Düsternis, in die sich Leute manchmal begeben, wenn sie sich trennen.
Es geht immer um Paare
Burg: Sie haben gesagt, dass solche Trennungen nur sehr selten in Filmen auftauchen. Wie sehr interessieren Sie sich in Ihren Filmen für Beziehungen allgemein? Wenn ich mir Ihre Filme ansehe, geht es immer um Beziehungen, nicht immer um Trennungen, aber um Menschen, die versuchen, miteinander umzugehen, zu kommunizieren, zusammenzukommen, es geht um ihre Grenzen.
Delpy: Das ist auf jeden Fall ein Thema, das mich interessiert. Bis jetzt geht es in meinen Filmen viel um Beziehungen, weil das etwas ist, was mein Leben berührt. Ich weiß, worum es geht und Beziehungen sind einfach interessant, diese Dynamiken. Wenn man sich überlegt, dass unsere Gesellschaft vollkommen auf menschlichen Beziehungen aufbaut.
Präsidenten, Politiker, wen man auch ansieht, es geht immer um Individualität in Bezug zu einer anderen Person. Es geht weniger um Gruppen als um Paare. Man redet über die First Lady, über die Frau von Prinz Harry – es geht immer um die bessere Hälfte. Die Vorstellung des Paares ist in unserer Gesellschaft so wichtig und grundlegend.
Burg: Wir haben über die erste Hälfte des Films gesprochen, über die zweite Hälfte zu sprechen, wird jetzt schwieriger, weil wir ja nicht zu viel verraten möchten …
Delpy: Für mich ist der Film ein intimes Drama mit einer heftigen Kehrtwende, die ungewöhnlich ist. Also machen Sie sich auf etwas gefasst, dass Sie in einem Drama so nicht erwarten würden.
Burg: Wie würden Sie den zweiten Akt beschreiben?
Delpy: Ich glaube es wird zu einem Drama der Vorahnung, ein Drama mit einem Vorgeschmack auf die Zukunft. Was wäre, wenn? Was würde man als Elternteil machen? Da blickt der Film ganz tief hinein, in diese Vorstellung. Ich habe sehr viel zu dem Thema gelesen. In Wissenschaftsmagazinen sieht man, dass alle Wissenschaftler Angst davor haben, dass wir kurz vor der Realisierung dieser Möglichkeiten stehen. Dennoch setzen wir uns ethisch nicht ausreichend damit auseinander. Unser Hirn scheint es nicht fassen zu können, dass es bereits Realität ist. Es ist zu verrückt. Es ist einerseits Science Fiction, andererseits auch nicht.
Auf der emotionalen Ebene reden
Burg: Dürfen wir es beim Namen nennen?
Delpy: Klonen. Ja, das ist okay, weil ich denke, dass es eine Reise ist. Und es steckt ja auch voller Überraschungen, der Film ist nicht aufgebaut wie ein Drama, da passiert mehr.
Burg: In welchem Ausmaß muss sich die Wissenschaft damit befassen, ob es moralisch ist, zu klonen? Und befasst sie sich genug damit?
Delpy: Ja, oder anders gefragt, befasst sie sich auf die richtige Art und Weise damit? Was wäre denn, wenn Klonen gar nicht so schrecklich wäre? Bisher liegt der Fehler meines Erachtens darin, dass wir nur über Ethik reden und nicht über menschliches Leben.
Wenn wir anfangen, auf emotionaler Ebene darüber zu sprechen, dann erst gibt es wirklich eine Auseinandersetzung damit. Das versuche ich, mit dem Film zu sagen. Es ist unsere Wissenschaft, und wo diese hingeht, ist durchaus emotional. Es mag ethisch falsch sein, aber was bedeutet das auf der emotionalen Ebene? Irgendwann müssen wir auf den emotionalen Aspekt zu sprechen kommen, denn schließlich sind wir emotionale Wesen.
„Ich sage nicht, dass ich für Klonen bin“
Burg: Aber die Frage ist ja immer, wenn die Büchse der Pandora einmal geöffnet ist, was macht man dann? Wenn die Wissenschaft so weit ist, wie können wir dann sicherstellen, dass wir weiter darüber sprechen werden?
Delpy: Man kann sich bei der Wissenschaft nie sicher sein. Niemals. Die Forschung zum Thema Fortpflanzung zum Beispiel hat dazu geführt, dass nun Frauen Kinder bekommen können, die das früher nicht konnten, das ist ja nichts Böses. Glauben Sie, dass In-Vitro-Befruchtung böse ist? Nein, das ist es nicht.
Eine Zeitlang haben die Menschen gedacht, es sei etwas Schlechtes. Das Klonen ist ein weiterer Schritt. Es ist viel verrückter. Aber nehmen wir die Genom-Editierung – wenn man weiß, dass man ein Kind haben kann, das aber mit einer schrecklichen Krankheit geboren werden würde, die es sein Leben lang leiden lassen würde, würden Sie dann nicht sagen, ja, lass uns etwas dagegen tun?
Ich weiß nicht. Dann kommt es darauf an, wo man sich positioniert. Wenn man die Wissenschaft ablehnt, lehnt man sie ab. Wenn man für die Wissenschaft ist, muss man nicht zwangsläufig für alle Varianten der Wissenschaft sein, aber wir müssen verstehen, dass die Wissenschaft mit unseren Gefühlen verbunden ist.
Ich sage nicht, dass ich für das Klonen bin. Wahrscheinlich habe ich mehr Zweifel daran als die meisten anderen Menschen. Darum hinterfrage ich es ja auch. Aber ich finde, dass wir es uns auf emotionaler Ebene näher ansehen sollten, nicht nur auf ethischer und wissenschaftlicher.
Frauen über 50 – und ihr Text in Filmen
Burg: Im Film ist die Mutter die Aktive, sie leidet zwar, aber sie handelt, sie hat eine Mission, und lässt sich durch nichts aufhalten. Normalerweise übernehmen in Filmen Männer diese Rolle der Figur, die bereit ist, alles zu riskieren. War es eine bewusste Entscheidung, diese Rollen umzudrehen?
Delpy: Ja. Es scheint mir so, als sei Frauen nie die Möglichkeit gegeben, diejenigen zu sein, die die Entscheidungen treffen, auch wenn es die falschen Entscheidungen sind. Besonders, wenn sie ein bestimmtes Alter erreicht haben, sind Frauen immer diejenigen, die sagen: ‚Nein, mach das nicht. Tu das nicht.‘ Das ist dein Text im Film als Frau über fünfzig: ‚Geh da nicht hin. Bitte, mach das nicht.‘
Damit wende ich mich gegen die Vorstellung davon, dass Frauen, besonders solche mittleren Alters, nicht aktiv werden und keine bahnbrechenden Entscheidungen treffen. Frauen über 45 sind in unserer Welt noch immer stigmatisiert. So, als sollten wir uns besser verstecken. Das finde ich interessant. Ich schreibe da gerade eine Serie drüber, in der Frauen über 45 diejenigen sind, die alles anführen. Es ist schon seltsam, dass Männer die Freiheit haben, zu sein wie sie wollen, bis sie hundert Jahre alt sind. Frauen dagegen haben angeblich eine Art Verfallsdatum. Das ist ziemlich frustrierend.
https://www.deutschlandfunkkultur.de/julie-delpy-ueber-ihren-film-my-zoe-was-wenn-klonen-gar.2168.de.html?dram:article_id=462978Zitat:
Julie Delpy sah, wie ein Kind bei einem Unfall enthauptet wurde
Berlin. Julie Delpys Film „My Zoe“ handelt von einem Kindstod. Im Interview erzählt sie, wie ein Kind vor ihren eigenen Augen starb.
Mit Kultfilmen wie der „Before Sunrise“-Trilogie wurde Julie Delpy zum Weltstar. Längst arbeitet sie selbst als Regisseurin; am Donnerstag kommt ihr neuer Film „My Zoe“ ins Kino. Delpy spielt darin eine Mutter, deren Kind bei einem Unfall stirbt. In ihrer Trauer beschließt sie, das Mädchen im Ausland klonen zu lassen. In Berlin haben wir mit Julie Delpy über Kindstode gesprochen, über Barbra Streisands Klonhunde – und über das Problem, als Frau einen Film zu finanzieren.
Frau Delpy, Eltern leben in der ständigen Angst um ihre Kinder. Als Sie Mutter wurden, haben Sie erstmal ein Drehbuch über einen Kindstod geschrieben. Hat es geholfen?
Julie Delpy: Nicht wirklich. Ich kann nicht behaupten, jetzt weniger ängstlich zu sein. Der Film erzählt von meiner Angst, besiegt sie aber nicht; das begleitet einen bis zum Tod – wortwörtlich. Meine Mutter ist vor zehn Jahren gestorben, und eins der letzten Dinge, die sie getan hat, war mich anzurufen, um zu hören, ob es mir gut geht.
Wobei Sie, wenn ich das richtig sehe, zu diesem Zeitpunkt gerade entbunden hatten. Da kann man ja wirklich mal fragen, ob alles in Ordnung ist ...
… mit dem neuen Leben. Das stimmt. Sie ist leider vier Wochen nach der Geburt meines Sohnes gestorben. Das lag sehr eng zusammen.
Die Idee zu „My Zoe“ hatten Sie aber nicht erst im Kindbett; das Projekt hat eine längere Vorgeschichte.
Als ich in den 90ern mit Kieslowski gedreht habe, haben wir über Verlusterfahrungen gesprochen und über die Auflehnung gegen das Schicksal; damals hatte ich aber noch keine fertige Geschichte. Das wurde es erst, als ich meinen Sohn bekommen und eine Scheidung durchgemacht habe. Die Eine Trennung macht die Sorgen ums Kind nur schlimmer: Man sieht es nur noch in der Hälfte der Zeit, in der andere Hälfte hat man nur seine Angst. Das Drehbuch entstand dann aus all diesen Gefühlen.
Das Kind in Ihrem Film stirbt durch ein Hirntrauma nach einem scheinbar harmlosen Spielplatz-Unfall. Haben Sie im Drehbuchprozess auch andere Todesarten erwogen?
Das stand von Anfang an fest; und leider steht im Hintergrund eine reale Geschichte. Jemandem aus meinem Bekanntenkreis ist genau das passiert: Ihre Tochter, die damals etwa elf Jahre alt war, kam von einem Ausflug nach Hause und musste sich übergeben. Es ging gerade eine Magen-Darm-Grippe um, keiner hat sich was dabei gedacht. Es war aber nicht die Grippe; das Kind hatte sich den Kopf gestoßen, und niemand hat den Zusammenhang gesehen. Die Panik, die Symptome zu verwechseln, ist eine Obsession für mich geworden. Wenn mein Sohn krank ist, frage sofort, ob er einen Unfall hatte. Wenn man ein schläfriges Kind hat, kann es gar nichts bedeuten – oder das Schlimmste. Davon erzählt der Film …
Den Tod eines realen Kindes zum Filmstoff zu machen, ist eine ganz schön sensible Angelegenheit.
Es hat aber nichts mit mangelndem Respekt zu tun, sondern mit meiner Betroffenheit. Als ich neun Jahre alt war, ist ein Kind in der Schule direkt vor meinen Augen gestorben. Ich kannte die Mutter; und ich werde ihren Blick nie, bis ans Ende meines Lebens nicht mehr vergessen. Das ist fast ein Trauma. Es ist also wirklich nicht so, dass ich die Geschichten gedankenlos benutzen würde; ich habe ein starkes Mitgefühl für die Angehörigen.
Sie haben als Kind ein Kind sterben sehen? Ich glaube, das ist nicht nur fast ein Trauma.
Es war sogar sehr traumatisch. Das Kind wurde enthauptet. Es war ein Unfall, etwas war auf seinen Kopf gefallen. Es ist das Traumatischste, das mir je zugestoßen ist. Ich habe natürlich noch mehr Traumata zu bieten – zu lange im Filmgeschäft gewesen zu sein beispielsweise. (Julie Delpy lacht.) Nein, im Ernst, es ist natürlich wirklich sehr schwer, mit neun Jahren ein anderes Kind sterben zu sehen. Neulich bin ich über ein Mädchen gestolpert, das mit mir in der Schule war, und habe gefragt: Weißt du noch, wie damals das Kind gestorben ist? Darauf sie: Natürlich erinnere ich mich, ich habe deshalb 20 Jahre Therapie hinter mir. Eine Therapie habe ich nicht gemacht. Stattdessen mache ich Filme.
Eine Kinderdarstellerin ein sterbendes Kind spielen zu lassen, ist auch nicht ohne. Wie war die Arbeit mit Sophia Ally?
Sie ist älter, als sie aussieht, fast zwölf, und extrem schlau und geerdet. Sie hat begriffen, was sie da tut, wir haben Witze über das Thema gemacht; ich musste ihr sogar sagen, dass sie nicht zu dramatisch spielen darf. Ihre Figur liegt im Koma und weiß nicht, dass sie stirbt. Das Schwerste für Sophia war, einen Tag nach dem anderen über Stunden im Bett liegen zu müssen.
Dass sie älter als die Rolle ist, hat auch den banalen Grund: Der Film wurde wegen der Finanzierung später gedreht als geplant.
Stimmt. Sie sollte erst als Neunjährige ein sechsjähriges Kind spielen. Jetzt haben wir die Rolle älter gemacht.
Stimmt es, dass Ihre Geldgeber abgesprungen sind, weil sie einer weiblichen Regisseurin nicht getraut haben?
Nein, das wurde nur daraus gemacht. Das aber haben nicht die Geldgeber gesagt, sondern ihr dämlicher Anwalt, ein amerikanischer Gauner. Er war wirklich extrem grob und frauenfeindlich und hat völlig inakzeptable Dinge gesagt. Die Geldgeber waren Koreaner und haben, glaube ich, nicht meinetwegen einen Rückzieher gemacht, sondern weil sie schwache Leute waren und von ihrem eigenen Anwalt ausgenommen wurden. Inzwischen gibt es die Firma, glaube ich, nicht mal mehr. Sie waren ein Witz. Uns haben sie allerdings geschadet. Wir waren damals schon in der Vorbereitung und haben durch die Sache Geld verloren.
Ist es für Frauen inzwischen leichter, Filme zu finanzieren – nach dem Erfolg von „Wonder Woman“, nach der Oscar-Nominierung für Greta Gerwig, der Palme für Céline Sciamma?
Für bestimmte Frauen vielleicht, aber nicht für mich. Greta Gerwig hat für ihren ersten Film zehn Millionen Dollar bekommen. Das ist unglaublich. Für mein Debüt hatte ich 500.000; und bis heute habe ich noch nie zehn Millionen gehabt. „My Zoe“ hat sehr viel weniger gekostet. Die Leute sind unterschiedlich gut aufgestellt; und ich habe kein so großes Unterstützersystem. Hinter manchen Frauen steht eine Armee von Männern; hinter mir stehen nur ein paar Leute wie Daniel Brühl.*
Am Ende Ihres Films entscheidet die trauernde Mutter sich, ihr totes Kind zu klonen. Was hat Sie in der Recherche zu dem Thema am meisten beeindruckt? Haben Sie verrückte Wissenschaftler getroffen, die heimlich am Menschenklon arbeiten?
In jedem einzelnen Artikel fordert ein Wissenschaftler mehr Regeln – weil wir alles längst tun und niemand weiß, was noch kommt. Bald werden wir lesen, dass irgendein Experte aus einem exotischen Land sich selbst geklont hat. Die nötige Forschung dazu liegt auf dem Tisch. Wenn sie Affen klonen können, ist der Schritt zum Menschen nicht mehr so weit.
Die Diskussion darüber überlässt Ihr Film komplett dem Publikum. Ich erinnere mich an eine Szene aus der „Alien“-Reihe. Da spielt Sigourney Weaver eine geklonte Astronautin, die auf ein Labor voller toter und verstümmelter Versionen von sich selbst stößt – den Fehlversuchen ihrer eigenen Erzeugung. Ihr Film dagegen legt nahe, dass man mit einem Klon seines toten Kindes ganz glücklich werden kann.
Ich wollte es realistisch und nicht Furcht einflößend machen – damit man hinterher über unsere Wirklichkeit spricht statt über Science Fiction und das Weltall. Was in „Alien“ passiert, hat nichts mit uns selbst zu tun. Ich wollte die Fragen stellen, die wir uns in 20 Jahren auch außerhalb des Kinos stellen werden: Würdest du es tun?
Deshalb erzähle ich den Film in drei Akten. Es beginnt mit einer Trennungsgeschichte, einer Sache, die jeder kennt. Dann geht es um den Kindstod, eine Sorge, die zumindest nicht aus der Welt ist, auch wenn man es noch nicht erlebt hat. Und erst im dritten Akt schildere ich dann eine Möglichkeit, die im Moment noch nicht verwirklicht werden kann – und die ich nicht intellektuell, sondern auf einer emotionalen Ebene auf den Tisch bringe.
Wie stehen Sie selbst zum Klonen?
Es ist moralisch falsch, aber es geht mir nicht um die Moral. In der Welt passiert viel, das unmoralisch ist: Waffenhandel, Krieg, Umweltzerstörung – es gibt viel Unmoral. Aus der jüdisch-christlichen Tradition heraus ist es falsch; aber einen toten Menschen zu klonen, ist auf Erden nicht das Verwerflichste, das man tun könnte. Ich bin weder für noch gegen das Klonen. Ich wünsche mir nur eine offene Diskussion.
Eine Einsicht von Barbra Streisand, die ihren Hund geklont hat, lautet: Man kann einen Körper klonen, eine Seele aber nicht. Ihr Film spart diese Frage aus, indem er das Leben der Mutter mit ihrem geklonten Kind gar nicht mehr zeigt. Wäre das Stoff für eine Fortsetzung?
Dass das aus dem Kind ein ganz anderes Mädchen würde? Wie anders würde sie denn sein? Ich bin mir da gar nicht so sicher. Haben Sie die geniale Doku über die adoptierten Drillinge gesehen?** Eine Mutter hatte eineiige Drillinge zur Adoption freigegeben; und die wurden dann an eine reiche, an eine arme und an irgendeine andere Familie abgegeben. Das war ein Experiment, von dem die Brüder und ihre Adoptiveltern nichts wussten, ein grausames natürlich, aber auch ein aufschlussreiches. Die Drillinge haben sich später zufällig getroffen: Sie rauchten dieselbe Zigarettenmarke, standen auf dieselben Frauen, mochte dasselbe Essen, machten den gleichen Sport. Ihr Leben war sehr ähnlich. Also, ja – auch unsere Umwelt prägt uns. Aber zu einem großen Teil sind wir das, woraus wir genetisch gemacht sind. Ich bin ganz und gar die Tochter meiner Mutter. Und mein Sohn ist der Sohn seiner Eltern.
Ist „My Zoe“ für Sie also kein Horrorfilm, sondern eine Utopie?
Ich habe mich sehr bemüht, es nicht schrecklich werden zu lassen. Er spricht dunkle Themen an, aber ich finde ihn, anders als andere Dramen, nicht deprimierend. Ich lege keine Musik drauf, um die Stimmung zu steuern, und deshalb spiegelt der Film wahrscheinlich das, was die Zuschauer sind. Je vielschichtiger man über Elternschaft nachdenkt, über den eigenen Ort in der Welt, desto mehr wird man im Film finden. Wenn man nicht so vielschichtig ist, wird „My Zoe“ einem wahrscheinlich nichts sagen. Wie ging's denn Ihnen? (Julie Delpy lacht.)
Sind Sie vielschichtig oder nicht?
Ich empfinde mich vor allem als sehr durchschnittlich.
Nach dem Film auch? Hatten Sie ein durchschnittliches Gefühl?
Nein. Aber ich glaube wohl stärker als Sie daran, dass wir mehr sind als unsere Gene.
Ich glaube auch, dass wir mehr sind. Natürlich. Natürlich bedeutet es viel, wie wir unsere Kinder erziehen, wie viel Liebe wir ihnen geben. Aber in meiner Geschichte wird das Klonkind ja sogar von derselben Mutter erzogen. Sie wächst in keiner völlig neuen Umgebung auf.
Ich verhalte mich schon bei meinen ungeklonten Kindern dem zweiten Kind gegenüber ganz anders als dem ersten – nur weil es das zweite ist. Jetzt habe ich mehr Erfahrung und weniger Zeit. Wenn ich aber ein totes Kind hätte und es als Klon noch einmal erziehen wollte, würde das doch noch viel, viel mehr verändern – wegen meiner Trauer, meiner Erwartung, meiner Enttäuschung, wenn das neue Kind sich falsch verhält, wegen meiner Langeweile, alles zum zweiten Mal zu erleben, wegen meiner Schuldgefühle wegen des Klonens – es könnte doch nie und nimmer dasselbe Kind werden. Schon wegen der schrecklichen Aufgabe, einen Toten zu ersetzen.
Ich denke, die Mutter dürfte dem Kind nie sagen, dass es ein Klon ist. Das wäre unverantwortlich. Aber es ist ja nur eine Geschichte. Was Sie aufzählen wäre ein interessanter neuer Film. Ich sollte über eine Fortsetzung nachdenken.
* Daniel Brühl, der in „My Zoe“ einen Reproduktionsmediziner spielt, ist auch über die Produktionsfirma Amusement Park am Film beteiligt.
** Tim Wardle: „Three Identical Strangers“ (2018).
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