Es ist soweit, aber bitte nicht schlagen.....
Dann beginne ich mal mit der Analyse der Verhältnisse zwischen Mrs. Thornton und ihren Kindern.
Zuerst zur ihrer Tochter (Fanny?). Eine zunächst mal typische Mutter-Tochter-Beziehung der viktorianischen Epoche. Wenngleich es ungewöhnlich ist (das gilt natürlich für beide Kinder), dass die Mutter wegen ihrer vermutlich frühen Witwenschaft sich einen Wirkungskreis in der Fabrik bzw. deren Leitung gesucht hat. Sie ist also eine der wenigen berufstätigen Frauen der Mittel- und Oberschicht. Dazu fällt mir parallel die Berufstätigkeit (sie arbeitete als Schriftstellerin) aus „The way we live now“ von Lady Carbury ein.
Was Mrs. Thornton jedoch ganz selbstverständlich für sich beansprucht, nämlich in der Fabrik deutlich ein Wort mitreden zu dürfen, kommt für Fanny nun überhaupt nicht in Frage. Sie ist nur Tochter, sonst nichts. Obwohl die Familie Thornton durch die Fabrik zu Geld und Besitz kam, ist das kein Garant für gesellschaftlichen, also sozialen Aufstieg. Darunter leidet sicher auch Fanny, die als Tochter des Fabrikbesitzers bzw. dessen Schwester keine Arbeit in dem Sinne kennt und als „höhere Tochter“ sicher auch erzogen wurde. Aber Anerkennung erfährt sie nur in ihrer eigenen Schicht, also unter den anderen Fabrikanten und Industriellen der Region. Das scheint Fanny eindeutig zu wenig, sie strebt nach höheren Weihen, ohne zu wissen, wie sie diese erreichen kann. Auf Grund dessen ist sie eigentlich sehr unsicher und verfügt über kein großes Selbstbewusstsein, was sie wiederum zu kompensieren versucht, indem sie sich größer darstellt als sie eigentlich ist.
Da ist bestimmt auch der ein oder andere Erziehungsfehler gemacht worden, wohl daraus resultierend, dass Mama Thornton gewiss nicht die Zeit ihrer Tochter gewidmet hat, die sie eigentlich gebraucht hätte. Die ganze Kraft und Energie steckte Mrs. Thornton in die Fabrik, den Rest in die Erziehung des Sohnes. Völlig getreu dem viktorianischen Prinzip (es galt für fast alles, außer für die Königin selbst), dass Mädchen eben so nebenher mitlaufen, die Jungs allerdings sind die Erben und somit wesentlich wichtiger in der Betreuung.
Auffallend ist auch, wie wenig Zärtlichkeit Mrs. Thornton für ihre Tochter aufbringt (= gar keine!) und wie viel hingegen für ihren Sohn. Das kehrt nun wiederum die Regie sehr schön heraus, es wird kaum eine Gelegenheit ausgelassen, diese Diskrepanz im Verhältnis zu Tochter und Sohn zu zeigen.
Sicher ist, dass Mrs. Thornton ihre Kinder liebt, aber sie bringt es nur fertig, dies bei ihrem Sohn zu zeigen. Bei ihrer Tochter schafft sie dies nicht, wahrscheinlich weil Fanny anders ist, als sie selbst, bzw. als sie sie gerne haben möchte. Mrs. Thornton wünscht sich vielleicht, Fanny wäre zupackender, pragmatischer, dann könnte sie sich ihr gegenüber auch so ähnlich wie gegenüber ihrem Sohn verhalten. Und sie sieht nicht, dass die eigenen Erziehungsfehler ihre Tochter so geprägt haben: Vernachlässigt, nicht genügend geführt, im Großen und Ganzen verwöhnt.
Deswegen ist auch das Verhältnis von Fanny zu Margret gestört, da diese alles hat und verkörpert, was Fanny abgeht: Elterliche Liebe, eine sorglose Kindheit, Selbstvertrauen, innere Ruhe und eine große Portion Sinnlichkeit.
Gut, kommen wir zum Mutter-Sohn-Verhältnis. Ich bin mir nicht sicher, ob ich sagen soll, dass diese Frau ihren Sohn fast abgöttisch liebt, aber ich stelle es eben mal so in den Raum. Das entspricht aber wie gesagt, dem damaligen Rollenverständnis absolut, Söhne waren der Stolz einer jeden Familie. Seinetwillen hat sie gearbeitet, um die Fabrik für ihn zu erhalten, bis er alt genug war, die Führung zu übernehmen. Er ist in diese Rolle hineingeboren, war für nichts anderes von vorneherein vorgesehen. Nun, wo er die Leitung innehat, ist die Mutter eher abhängig von ihm. Er ist der Ernährer der Familie. Aber das Familienoberhaupt ist nach wie vor sie. Alle wichtigen Dinge bespricht sie mit ihrem Sohn. Nicht mit der Tochter. Die hat sich (vor allem aus geschäftlichen Dingen) herauszuhalten. Und da er kein Jüngling mehr ist, weiß die Mutter, dass der Tag nicht mehr fern ist, wo er an Heirat denken muss.
Weil es immer mehr und mehr außer Mode kommt, Ehen zu arrangieren, weiß sie auch, dass sie die Wahl ihm überlassen muss. Vielleicht hoffte sie, hie und da ein bisschen manipulieren zu können, aber letztendlich wünscht sie ihm eine Heirat aus Liebe, damit er glücklich wird. Das fällt ihr schwer zuzugeben. Es fällt ihr schwer, ihn gegebenenfalls loszulassen. Da sie aber eine kluge Frau ist, weiß sie, dass es so kommen wird. Sie spürt die „Gefahr“ die von Miss Hale ausgeht, vom ersten Moment an. Sie sieht Margaret an, sie sieht ihren Sohn an, und der Moment des Loslösens ist gekommen. Sie wehrt sich, ein natürlicher Mechanismus – zunächst. Noch will sie ihren geliebten Sohn nicht hergeben. Sie versucht, ihn zu halten. Wenn nicht für immer, dann wenigstens noch für eine bestimmte Zeit. Die überfließenden Zärtlichkeiten (guter Einfall der Regie) markieren dann deutlich den Prozess des Abschiednehmens. Sie blickt als Mutter ins Ungewisse. Was wird mit ihr, mit der Fabrik, mit seiner Arbeit? Wie steht es überhaupt in den unsicheren Zeiten, mit den Forderungen der Bank im Nacken? Viele Probleme stehen im Raum. Und Miss Hale ist davon eines. Mrs. Thornton weiß, dass es für ihren Sohn kein Halten mehr gibt, und sie gibt nach. Sie lässt ihn gewähren, schweren Herzens, aber klug. Für sein Glück hat sie schon oft das ihre aufgegeben und bezüglich Miss Hale tut sie es wieder. Eine bemerkenswerte Frau, in der Tat. Aber leider zu einseitig auf ihren Sohn fixiert, schade.
Die Regie zeichnet das Mutter-Sohn-Bild überwiegend in weich fotografierten Bildern. Dies macht deutlich, dass sich Mrs. Thornton dann von der harten Geschäftsfrau in eine liebende Mutter „verwandelt“. Die Dialoge sind auch eher nachgiebig von ihr gesprochen (weniger die Worte, als die Art der Sprache, die Tonlage) und um einiges härter von ihm, was wiederum kennzeichnet, dass er nun den Abnabelungsprozess voll angeht. Geschickt überlagert wird das ganze von der akuten Problematik um die Baumwollfabrik und die finanziellen Belastung der Familie. Die Dialoge drehen sich immer wie ein Karussell um die Themen „Finanzen, Fabrik, Miss Hale – Miss Hale, Fabrik, Finanzen“. Er strampelt sich nach und nach frei, weiß aber trotz allem, was er an seiner Mutter hat. Schön herausgearbeitet in dem Stück, wo er schon nach dem Steinwurf zu Miss Hale gehen möchte, seiner Mutter aber verspricht, es noch um einen Tag aufzuschieben. Er geht aber trotzdem aus. Ungewiss für die Mutter, ob er sein Versprechen nun hält oder bricht. Bis zu seiner Rückkehr, dann ist alles klar. Die Regie arbeitet da sehr gut und mit äußerst subtilen Mitteln.
John hat im Gegensatz zu seiner Schwester ja deutlich mehr Erziehung genossen und mütterliche Liebe abbekommen. Deswegen ist sein Selbstbewusstsein auch stärker. Es ist allerdings nicht riesengroß. Irgendwo sieht er sich selbst als Versager. Er konnte den Streik nicht verhindern, er fühlt sich gegenüber den Hales ungebildet, er zahlt zwar seinen Arbeitern mehr als üblich, ist aber trotzdem als hart und unnachgiebig verschrien. Und als er Margaret trifft, bekommt er noch mehr das Gefühl, alles falsch zu machen. Einen Arbeiter verprügeln – um Gottes willen, das macht man doch nicht! Lungenkranke Kinder arbeiten zu lassen – nein, wie furchtbar! Einer Dame die Hand schütteln – welch ein Affront! Plato und Aristoteles nicht unterscheiden können – so ein ungebildeter Klotz! Irische Arbeiter einzuschleusen und diese dann in Todesgefahr zu bringen - wie idiotisch! Alle Begegnungen mit Margaret Hale müssen sein Selbstbewusstsein erheblich herabgesetzt haben. Und deswegen ist er auch der Meinung, dass nicht Miss Hale zu gering für ihn ist, sondern er zu gering, viel zu gering für sie und er fürchtet schon (zu Recht, wie sich dann ja herausstellt), dass sie ihn nicht haben möchte. In diesem Punkt gehen die Meinungen von Mutter und Sohn auseinander, denn Mrs. Thornton ist sehr wohl der Meinung, jede Dame müsse froh sein, von ihrem Sohn einen Antrag gemacht zu bekommen. Wobei ich denke, dass sie dies nur als Bewahrung ihres Stolzes in den Raum stellt, in Wirklichkeit jedoch bereits auch die bittere Wahrheit erkannt hat, nämlich, dass ein fast maroder Fabrikbesitzer aus Englands Norden nicht überall als Ehemann und Schwiegersohn angesehen und willkommen sein wird.
Ähm, ich schreibe dies nur unter dem Einfluss der N&S Episoden 1 und 2 (habe auch das Buch nicht gelesen, bitte zu beachten). Falls ich hier also nicht ganz klar sehen sollte, bitte ich um entsprechende konstruktive Kritik. Ihr habt da ja wesentlich mehr „Erfahrung“ zumindest auf dem Spezialgebiet! Also, seid gnädig mit mir!