Nach etwa zwei Dritteln der Pausenzeit hebt sich der schwere Bühnenvorhang wieder und die Projektion für den zweiten Akt auf dem Gazevorhang (Stadtansicht von Paris mit vielen schäbigen Hinterhöfen, dem Invalidendom und sehr in der Ferne Sacré Coeur) wird sichtbar.
Ähm, wenn Amandas Wohnung in der teuren Avenue Montaigne den Ausblick auf DIESE Hinterhöfe hat… dann fresse ich einen Besen! Wohl kaum. Leider ein bisschen zu unbedacht von der Produktion schade.
Denn was dann kommt, passt zu den armseligen Hinterhöfen nun gar nicht: Die Paris-Projektion schwenkt noch kurz auf Nacht und Mondschein um, dann hebt sich die Gaze und zum Vorschein kommt ein runder Raum, runde bzw. halbrunde Sofas und Betten, daran angepasste Tischchen, ein ganz unglaubliches, dreiteiliges rundes Goldfisch-Aquarium und Lampen, die das „runde“ Thema erneut aufgreifen.
Viele runde (und ein paar eckige, immerhin) Kissen, ein Wandregal mit einem runden Grundrahmen, ein „Bullaugen“-Fenster links oben plus ein Flügel (der eben aufgrund seiner Art nicht rund sein kann) rechts an der Wand vervollständigen das Bild.
Okay, die auf die gold-türkis schimmernden Wände gemalten blau-grünen Enten gefallen mir nicht! Ansonsten finde ich den Raum recht gelungen, auch wenn ich mir nur schwer vorstellen kann, dass sich jemand (selbst in den Zwanzigern/Dreißigern in Paris) tatsächlich so einrichten würde.
Insgesamt war der zweite Akt besser in der Präsentation der Dialoge, abgesehen von MMs schrecklichem „The Pooszta! I always felt the Pooszta was far too big…“ meine Güte, das war leider nix, mein Lieber! Weit übers Ziel hinausgeschossen.
Hier nun kam es sehr viel auf das korrekte Timing und genaues Spiel an. Davon hängt im zweiten Akt unglaublich viel ab.
Schöne Sachen: Das Teil zum Drehen der Jalousie im Bullaugen-Fenster und wie sich Elyot davon „bedroht“ fühlt sowie die Szene, wo sie beide die zwei Minuten Auszeit („Sollocks“) nehmen und rauchend auf die Uhr im Regal starren.
Der Tanz zwischen beiden – nett gemacht, aber ich fand ihn zu blasiert, zu affektiert.
Amandas provokanter Solotanz war um Klassen besser, super gemacht!
MM als Elyot ging fast zu lapidar über die sexuelle Zurückweisung (A.: „It’s so soon after dinner“) hinweg. Als Mann darf man darüber durchaus noch etwas gekränkter sein. Sein Zorn kam einfach zu spät.
Interessant anzusehen, wie er ihr einmal galant die Zigarette anzündet und sie ihr reicht und beim nächsten Mal (da war der erste Streit dann schon da, siehe ein Absatz zuvor – sexuelle Zurückweisung) ihr die Zigarette einfach hinwirft und die Streichhölzer hinterher („Wait a minute, can’t you?“)
Dann die Pianoszene – ah! Man sieht es ihm für keine Sekunde an, dass er das Teil nicht selbst spielt, ganz elegant gelöst, großes Kompliment.
Der Song, das Duett: Jaaa, das geht runter wie Öl, wunderbar!
Der Gesang ist tausendmal besser als bei der armen GL und NC und auch um einiges besser als bei AR und LD. Beide singen nahezu hervorragend, ich war auf das Positivste überrascht und mir standen echt bei dem Lied die Tränen in den Augen.
Und dann das jähe Erwachen, wenn Elyot nun endlich Oberwasser hat und Amanda willig unter ihm auf dem Bett liegt – das Telefon schrillt!
MMs Französisch ist sehr gut, très bien, pratiquement formidable.
Und dann wieder etwas total frappierend an Sir Felix Carbury Erinnerndes:
„All the futile moralists who try to make life unbearable. Laugh at them. Be flippant. Laugh at everything, at all their sacred shibboleths. Flippancy brings out the acid in their damned sweetness and light.“
Einfach absolut deckungsgleich sind Elyot und Felix da.
Danach kommt das Unheil ja recht schnell – er trinkt, sie mokiert sich darüber, sie schmeißt das Grammophon an, ihn stört es, ein Wort gibt das andere, kein „Sollocks“ hilft mehr, sie zertrümmert die Schallplatte auf seinem Kopf und er ohrfeigt sie.
Das endet in einem fulminanten Kampf der beiden, den ich so wirklich noch nicht gesehen habe (ich habe schon Blumenvasen kaputt gehen sehen, auch Stehlampen, Vorhänge wurden ebenfalls schon mitgerissen), aber so wie die beiden ist es wirklich fulminant und absolut unschlagbar! Ganz, ganz große Klasse! Selbst beim dritten Mal Ansehen war ich noch immer hin und weg und konnte nicht genug davon bekommen. Spitzenmäßig, wirklich.
Er schlägt sie übrigens zuerst mit dem Handrücken, sie ihn später dann mit der Handfläche. Außerdem haut er ihr dreimal auf den Hintern, abgesehen von all den anderen erbosten Kämpfen dazwischen, die ja nun DAS Highlight der Show schlechthin sind.
Sogar das Aquarium wird in Mitleidenschaft gezogen (wie, verrate ich nicht) und das Eis aus dem Champagnerkübel landet in Amandas Genick.
Als beide schließlich schon halb erschöpft zu einer natürlich nicht spielerischen, sondern sehr ernsthaften Kissenschlacht übergehen, stehen Victor und Sybil schließlich in der Tür. Elyot und Amanda springen schreiend davon, jeder in ein anderes Zimmer und ihre jeweiligen Noch-Ehepartner sinken völlig konsterniert auf das Sofa, nachdem Sybil mühevoll einen herumspringenden Goldfisch zurück ins Aquarium transportiert und Victor das Leck in selbigem mit einer Kerze zugestopft hat.
Blackout für kurze Umrüstung auf den dritten Akt, keine weitere Pause mehr.
Ich gebe hierzu einen YT-Link von jemandem, der einen Teil der Kampszene mitgefilmt hat (da bin ich mir noch nicht sicher, ob ich diese Person loben oder verurteilen soll!
). Bitte nur ansehen, wenn man unbedingt gespoilert werden möchte oder eben das Stück schon kennt:
https://www.youtube.com/user/DavidVarkon ... b1Odf0lfp4