Wie versprochen:
Zitat:
Welcome to Karastan, gesehen am 20. März 2015 auf dem Lichter Filmfest Frankfurt (OmU)
Von mir heiß ersehnt und nun endlich auf der Leinwand zu sehen, zwei Monate vor dem offiziellen Kinostart in Deutschland, ein recht großes Privileg und ebenso ein Zufall wie meine aufregende Stunde am Set in Frankfurt Ende Februar 2013. Unmittelbar neben mir stehen vor Beginn der Vorführung Produzent Daniel Zuta von Brandstorm/Zuta-Films und Regisseur und Drehbuchautor Ben Hopkins. Während Zuta nonchalant den Mann von Welt gibt, der er offensichtlich auch ist, zupft Hopkins ständig nervös an seinem Anzug herum, ein Kleidungsstück, das den Namen nicht so recht verdient, weil es mehr an das erinnert, was Mitte der Siebziger (also 1970ff) einmal als Jeans- oder Cordanzug bezeichnet wurde. Ein Statement, höchstwahrscheinlich. Dennoch scheint der fließend, nahezu akzentfrei Deutsch sprechende Regisseur ein wahres Nervenbündel zu sein.
Bevor der Film angeworfen wird, bekommen wir von Zuta Lobeshymnen über die zu hören, die den Film finanziert haben. Ich sehe ein, dass das sein muss, aber Zuta schleimt, was das Zeug hält. Ich hasse derlei, ganz ehrlich.* Endlich gibt Zuta mit der Aussicht auf ein Q&A und eine kleine Party nach Ende des Films sein Mikrofon ab und die Leinwand wird hell. Es geht los, juhu!
Wenn man weiß, was alles in (und um) Frankfurt gedreht wurde, fällt es sichtlich schwer, sich das als London oder wahlweise auch als Palchik in Karastan vorzustellen, obwohl es irre gut kaschiert und somit absolut gelungen ist. Jemand anderes hat diese Probleme dann glücklicherweise nicht.
Die Handlung ist schnell erzählt: Emil Forester, ein ehemals erfolgreicher Kurzfilm-Regisseur, preisgekrönt, u.a. mit einem Oscar, kann an seine Erfolge nicht mehr anknüpfen und widmet sich aus gepflegter Langeweile nur noch seinem Hund Wolfgang. Mit seiner Frau, einer bekannten Schauspielerin, liegt er im Scheidungskrieg und seiner Putzfrau schuldet er Geld. Da erreicht ihn der merkwürdige Anruf einer Dame aus der Kaukasus-Republik Karastan, die ihn freundlich bittet, doch der Gaststar auf dem ersten Filmfestival des noch jungen Staates zu sein. Besser eine solche Perspektive als gar keine, denkt sich Emil und reist ab.
Aber wenn sein Leben bisher schon einige Zeit nicht mehr in geregelten Bahnen verlief, dann war das nichts im Vergleich zu dem, was ihn in dem fremden Land erwartet. Denn schon bald sehnt Emil sich nach seiner nörgelnden Putzfrau und dem täglichen Gassigehen mit Wolfgang zurück. Wäre in dem seltsamen Land Karastan, dass sich bei näherem Hinsehen nämlich als Diktatur allererster Güte entpuppt, die nette, aber geheimnisvolle Chulpan nicht, hielte Emil nichts mehr dort. Doch außer seinen immer stärker werdenden Gefühlen für Chulpan bindet ihn noch ein neuer Film an das kaukasische Land: Er soll – vom Präsidenten Abashiliev persönlich beauftragt – das Nationalepos „Tarnat“ neu verfilmen, wobei ihm das Blaue von Himmel herunter versprochen wird und es ganz danach klingt, als würde etwas von der Größe und Signifikanz eines Ben Hur als Verfilmung anstehen. Natürlich sagt man zu so einem Angebot nicht Nein. Voller Tatendrang stürzt sich Emil in das Projekt, doch nichts ist so, wie es ihm versprochen wurde. Mit widrigen Bedingungen, einer fremden Kultur, zwielichtigen Menschen und instabilen politischen Verhältnissen kämpfend, steckt Emil irgendwann auf. Hals über Kopf und nicht ganz aus freien Stücke, weil eine blutige Revolution ausgebrochen ist, muss er Karastan verlassen. Die Erkenntnis, dass man ihn nach Strich und Faden hinters Licht geführt hat und alle, auch Chulpan, ein doppeltes Spiel mit ihm gespielt, ihn lediglich ausgenutzt und zu Propagandazwecken hofiert und ausgeschlachtet haben, frustriert ihn unendlich. Emil möchte der Filmwelt ein für allemal entfliehen und wirft, kaum zurück in London, alle seine auf dem Regal stehenden Preise weg. Dann nimmt er einen Job in einem örtlichen Baumarkt an. Die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Bohrmaschinen an einen Kunden erläuternd, sackt ihm die Kinnlade herunter, als plötzlich Präsident Abashiliev höchstpersönlich vor ihm steht und ihn in seinem Rolls Royce mit in seine noble Londoner Residenz mitnimmt. Dort erklärt er Emil, dass er sich zwar im Exil befindet, aber man durchaus auch von hier aus weiter am Film arbeiten könne und ob er sich vorstellen könne, dass seine Ex-Frau die weibliche Hauptrolle übernähme. Ein seinem eigenen Willen beraubter Emil beugt sich dem langen Arm und den undurchsichtigen Machenschaften Abashilievs, der Film wird mehr schlecht als recht irgendwo in England gedreht. Emil scheint auf immer gefangen in einem Hamsterrad, das sich ohne Unterlass dreht und keinen Ausweg bietet.
Der Film lebt in weiten Teilen von den atemberaubenden Landschaften Georgiens und den eher abgewrackten Teilen (das Drehbuch verlangte es so) der Hauptstadt Tiflis, wo im Januar und Februar 2013 etwa sechs Wochen lang gedreht wurde. Das macht natürliche eine großartige Kulisse. Ein weiteres Plus sind die durchweg erstklassigen Darsteller, von denen jedem einzelnen die Rolle perfekt auf den Leib geschneidert ist. Wie es Hopkins gelang, ein äußerliches Merkmal von Matthew Macfadyen (Emil Forester), nämlich seine ungewöhnlich langen Wimpern, ständig in Close-Ups ins rechte Licht zu setzen, ist mir ein Rätsel. Davon abgesehen glänzt Macfadyen natürlich und erwartungsgemäß in der Rolle des immer wieder vom Schicksal gebeutelten Emil, vielleicht auch deswegen, weil ihm selbst im wahren Leben ein leichter „scruffy look“ so sehr liegt. Man kann froh sein, dass einer Independent-Verfilmung wie dieser große Namen wie eben Macfadyen ihr Gesicht und ihr Talent gegeben haben, was ein Vorzug des auf Vielseitigkeit Wert legenden Schauspielers ist, der stets darauf bedacht ist, dass sich in seiner Vita Bühne, TV, sowie große Blockbuster- und kleine Low-Budget-Verfilmungen in etwa die Waage halten.
Weiterhin ihr großes Können ausspielen dürfen MyAnna Buring als Chulpan und Richard van Weyden als Präsident. Auch jede Nebenrolle, inklusive des als fanatisch-überdrehter Hollywood-Star Xan Butler auftretenden Noah Taylor, ist fantastisch besetzt und macht den Film zu einer überaus runden Sache auf Darsteller-Ebene.
Das Drehbuch ist zu Anfang ziemlich stringent, verliert aber den Faden manchmal ein wenig im zweiten Teil des Films. Dazu kommt, dass dem Film eine Identitätskrise bescheinigt werden kann, denn er ist weder reine Satire, noch schwarze Komödie, noch trägt er völlig klare biografische Züge, noch lässt er sich sonst wie in ein Genre-Schema pressen. Regisseur Hopkins begeht den Fehler, dass er unwichtige Dinge in die Handlung aufnimmt und dadurch unnötige Längen entstehen lässt, andererseits aber über manche Szenen und wichtige Teile der Erzählung drüber huscht, so dass Verständnisprobleme entstehen.
Auch wenn der Film, der im Wettbewerb des Lichter Filmfests antrat, in Frankfurt aufgrund der starken Konkurrenz keinen Preis erhielt, ist er dennoch mehr als sehenswert, zeigt er doch recht unverblümt einen Teil unserer verrückten und leider korrupten Welt, doch er tut dies in angenehmer, humoriger Verpackung, weil man es sonst vielleicht nicht ertragen könnte, der nackten und ziemlich frustrierenden Wahrheit ins Gesicht sehen zu müssen. Man würde das Kino ebenso niedergeschlagen verlassen, wie es uns der Gemütszustand Emil Foresters zuvor bereits neunzig Minuten lang suggeriert hat. So aber hat man zwar vielleicht ein Fragezeichen auf der Stirn, kann sich aber relativ gelassen aus dem Kinosessel erheben und nach einem schier endlosen Abgesang von Daniel Zuta, der außer Regisseur Ben Hopkins und Darsteller Richard van Weyden auch noch jeden Beleuchter und Financier auf die Bühne zu sich bittet, zur angekündigten After-Show-Party gehen.
Wertung: Uff… schwer… mit good will sage ich mal vier von fünf Sternen.
P.S. Drehorte in/um Frankfurt im Film natürlich wiedererkannt… aber wer’s nicht weiß, merkt es wirklich nicht.
* Dass ich nicht die Einzige bin, die so denkt, offenbart das jüngste, erstaunlich freimütige Interview mit Regisseur Ben Hopkins auf der Webseite des Films!